TAGEBUCH DER KURIOSITÄTEN

Kurioses & Amüsantes, Partiestellungen und Kombinationen, Anekdoten & Hoppalas
- überwiegend aus der gegenwärtigen österreichischen Schachszene.
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Nr. 149: Name-Dropping (3.6.2022)

"Norway-Chess: So schlägt Carlsen im Armageddon", lese ich knapp vor dem ersten Schluck Kaffee als Titel auf der Chessbase-Website.

 

Mein Gehirn kommt erst langsam in die Gänge. Also was hat Carlsen in Norwegen wieder gemacht?, denke ich nach zweimal lesen. Zwar ist einem das schwierige Wort Armageddon mittlerweile schon geläufig; man weiß, es heißt nicht Weltuntergang, sondern Entscheidungsblitzpartie - aber da fehlt doch etwas in dem Satz?!

Vielleicht soll es heißen:

So schlägt Carlsen im Armageddon alle Gegner!
Oder: So schlägt Carlsen im Armageddon zu!
Oder gar: So schlägt Carlsen sich im Armageddon!
Oder es fehlt ein Name: So schlägt Carlsen Anand im Armageddon!
Auch umgekehrt: So schlägt Anand Carlsen im Armageddon!
Oder (© Tochter) soll es etwa auf die besondere Art hinweisen, wie Carlsen (vor allem im im Armageddon) Schlagfälle mit seinen Figuren ausführt?

Erst nach Lesen des Artikels kommt man drauf. Nicht Carlsen schlägt im Armageddon zu, sondern er wird geschlagen! Nämlich vom Amerikaner Wesley So.

Das ist halt ein Pech, wenn man einen doppeldeutigen Namen hat. Da fällt mir gleich der unvergleichliche Humorist Hugo Wiener (1904-1993) ein, der ja bekanntlich die meisten der berühmten Doppelconferencen von Karl Farkas geschrieben hat. Großartig auch seine Satiren - Lesetipp: ähnlich wie, aber besser als Kishon! In einer davon hadert Wiener, dass in Zeitungen immer wieder die ärgsten Dinge über ihn zu lesen sind, etwa: Wiener raubt Bank aus! Wiener entführt Flugzeug! Wiener von Interpol gesucht!

Und bekannt ist ja auch, dass Hugo Wiener, der stets bescheiden im Schatten von Karl Farkas stand, einmal reklamierte, es wäre nur fair, wenn er als Hauptautor auch im Titel der Simpl-Plakate aufscheinen würde, etwa: "Das Farkas-Wiener-Kabarett". Der eitle Farkas sagte freudig zu, und Hugo Wiener las bald auf den Plakaten : "Die Wiener Farkas-Revue".

Einen der schönsten Schachspielernamen hat ja der Tiroler Fabian Matt. Wenn er einmal ganz berühmt wird, werden massenhaft Wortspiele in Zeitungen zu finden sein: "Matt siegt durch Matt!" oder "Matter Matt matt gesetzt."

So: Die Conclusio aus diesen aus So und nur so entstandenen Assoziationen: Man braucht mit dem eigenen Namen nicht unzufrieden sein.



Nr. 148: Ein Samstag wie jeder andere (26.11.2021)

Ein lauer Samstag stand bevor. Jeder, der Vereinsfunktionär, Organisator, Mannschaftsführer ist, kennt Tage wie diesen. Ein Heimspiel wartet. Geistig schon etwas zermürbt, da man sich drei Tage lang um eine vollständige Mannschaft bemüht hatte, marschiert man eine gute Stunde vor Beginn Richtung Heimlokal, macht beim Supermarkt halt, um fürs Buffet einzukaufen, sperrt das Lokal auf, rückt Tische, stellt Garnituren auf und Uhren ein, kramt nach Partieformularen, richtet Buffet her, bringt die Kaffeemaschine in Gang, schleppt Getränke, begrüßt mit Small-Talk die eintrudelnden Gegner, prüft (in Corona-Zeiten) die 2G-Nachweise, füllt das Aufstellungsformular aus - und wartet auf die eigene Mannschaft. Fröhlich und munter kommen die eigenen Spieler fünf bis eine Minute vor Spielbeginn (15 Uhr) herein; man begrüßt sie höchst freudig, denn man muss ja heilfroh sein, dass sie da sind, da man somit immerhin nur zwei Kontumazbretter vorgeben muss.

Besonders froh muss man sein, nicht selbst spielen zu müssen (da für diese Klasse nicht spielberechtigt), denn nach dieser Ouvertüre stünde es mit Konzentration und Motivation nicht zum Besten; zudem müsste man während der Partie ab und zu bei der Kaffeemaschine Wasser nachfüllen oder jemandem bei der Bedienung helfen und auch ganz allgemein nach dem Rechten sehen. Man spielt also nicht, sondern schaut zu. Man verabschiedet mit Small-Talk jene Spieler der gegnerischen Mannschaft, die keinen Gegner haben, und spendiert ihnen etwas vom Buffet. Dann trottet man seine Runden von Brett zu Brett, dann zum Buffet, dann einmal ums Haus, dann wieder von Brett zu Brett, füllt das Wasser der Kaffeemaschine nach, blättert in einer Zeitschrift, dreht wieder eine Runde ums Haus, wäscht gebrauchte Kaffeetassen ab und trottet wieder von Brett zu Brett. Stunde um Stunde eines an sich sonnigen Nachmittags rinnt dahin. Humorige Momente erlebt man durchaus: wenn die eigenen Spieler auf originelle Art etwas einstellen. Man ertappt sich dabei, zu hoffen, dass sie ein bisschen schneller einstellen, dann käme man früher nach Hause.

Diese Hoffnung scheint sich zu erfüllen, scheitert jedoch an einem Einzigen. Der spielt eine positionelle Glanzpartie; eine solche pflegt bekanntlich recht lange zu dauern. Man hat also nur noch ein Brett zum Zusehen, somit führt der Weg nur noch vom Buffet (das man in der Zwischenzeit aus Langeweile geplündert hat, seufz!) zum Brett und wieder retour. Es geht gegen 20 Uhr. Man räumt die anderen Bretter ab (in Zeitlupe, damit man die beiden verbliebenen Spieler nicht mit Lärm belästigt), räumt das Buffet weg, sammelt Gläser und Kaffeetassen ein, die verstreut abgestellt wurden, wäscht das Geschirr ab, packt die Kaffeemaschine weg. Immerhin was zu tun. Endlich neigt sich die letzte Partie dem Ende zu, unser Spieler steht knapp vor dem sicheren Gewinn (laut Computer +23, einen Zug später Matt in 11, wie man später feststellen wird), also zwei, drei Minuten noch, dann ist der Tag gelaufen.

Und plötzlich kommt der Moment, an dem dieser Tag (nur vermeintlich einer wie jeder andere) zu einem Großereignis wird, zu einem Festtag, von dem man noch in Jahrzehnten reden (oder zumindest hier lesen) wird. Aufruhr im Spiellokal - unser Spieler hat verloren! Und zwar auf solch grandiose Art, die höchsten ästhetischen Genuss bereitet, die in jedem Schachbuch einen Ehrenplatz hätte, die mir eine Tagebuchgeschichte beschert. Und auch der Spieler kann sich trösten: Ein Punkt mehr oder weniger ist egal, hingegen bleibt das Denkmal für die Ewigkeit!

Danke, dass ich bei diesem Moment live dabei sein durfte! Das war den Tag wert. Genau deshalb ist man ja Vereinsfunktionär, Organisator, Mannschaftsführer.


H.G.- J.S., Wien 2021

Wir sehen die Stellung von Schwarz aus. Weiß hatte zuvor ein letztes Verzweiflungsopfer auf d5 gebracht, wonach Schwarz immerhin ein wenig auf einen etwaigen c-Freibauern aufpassen muss. Schwarz schlug darauf einen Bauern auf g2, und der letzte Zug war Kd2-e1, wohl schon alls Falle gedacht. (Matt in 12, sagt der Computer.)

Schwarz, nach fünf Stunden Arbeit im Siegesrausch, spielte flott 1...Sd3+? und nach 2.Sxd3 noch flotter 2...exd3??, wonach nach dem tragischen 3.Lxg2 nicht einmal mehr im Trüben gefischt werden konnte. Aus!

Natürlich war schon 1...Sd3?! schlecht. Nervenstark war 1...cxd5! 2.c6 Sd3+! Haha, jetzt doch! 3.Sxd3 cxd3! 4.c7 Tc2 (oder eleganter 4...Te2+ 5.Kf1 g2+ 6.Kg1 Kg3! 7.c8D Te1#).

Doch hätte Schwarz nach 1...Sd3+? 2.Sxd3 nur ein bisschen inne gehalten, hätte er noch immer spielend gewonnen: 2...cxd5! Der Turm bekommt den c-Bauern leicht unter Kontrolle, der g3-Bauer marschiert durch!

 

Ja, die berühmte lange Diagonale rückwärts!

Und zu allem Unglück kommt auch noch Pech dazu: Der Spieler saß im heurigen Sommer in einem meiner Schachcamps in der ersten Gruppe, mit der ich einen Vormittag lang Endspieltricks trainierte. In meiner Datei "Endspiel-Schweinereien", die abgearbeitet wurde, befindet sich das Beispiel Swidler-Polgar (Frankfurt 1999) mit ganz ähnlichem Motiv. Doch aus irgendeinem Grund kam ich am Schachcamp nicht mehr zu diesem Beispiel.

Sonst, ja sonst, wäre sicher alles ganz anders gelaufen ...


Swidler - J. Polgar, Frankfurt 1999

Die weiße Stellung ist leicht gewonnen, etwa nach 1.Kf2. Doch der große Peter Swidler vergaß auf die einzige Gefahr, die im Selbstmord-Sinn (abgesehen von glatten Einstellern) gerade noch irgendwie konstruierbar ist:

1.Tb7?? Oh weh, oh weh!

1....f2+ und aus!

 


 

Nr. 147: Der Medien-Hype (28.4.2021)


Screenshot: orf.at


Man staunt: In den letzten dreißig Tagen so viel Schach im ORF wie in den letzten dreißig Jahren zusammen. In "Thema", "bei Stöckl" in "Fannys Friday", in "Hallo Österreich", im "Kultur-Montag", auf der ORF-Website (Bild oben), ja sogar musikalisch in Ö1 (Pasticcio). Bei Letzterem wird man gleich mit einem netten Zitat willkommen geheißen: Johannes Brahms auf die Frage, was er denn bei Schumann gelernt habe, trocken: "Schach spielen."

Die Inhalte ähneln sich. Meist steht Frauenschach im Fokus, wobei die mehrfach interviewten Veronika Exler, Tina Kopinits und Magdalena Mörwald stets eine überaus sympathische Performance liefern. Der Schwerpunkt Frauenschach ist nicht verwunderlich, ist doch der Anlass dieses Schach-Booms die Netflix-Serie "Queens-Gambit", von Nichtschachspielern auf Deutsch ergötzlicherweise ausnahmslos "Damen-GEmbit" ausgesprochen. Selbst als Insider erfährt man Interessantes, etwa vom neuen Schachbund-Präsidenten Christof Tschohl, der einräumt, dass "die meisten Schachspieler ein bisschen etwas Nerdiges haben". Man entdeckt in Großaufnahme, dass eines der "wichtigsten Häuser des österreichischen Schachsports" mit den Worten "FCK CPS" beschmiert ist, was nichts mit dem 1.FC Kaiserslautern zu tun hat. Und wir leiden ein wenig mit dem liebenswerten Schachladenbesitzer Michael Ehn mit, der jetzt mit Schachbrettern und Figuren das Geschäft seines Lebens machen würde, wenn - ja, wenn nicht in ganz Europa Schachbretter ausverkauft wären.

Die Beiträge sind durchwegs gut und nahezu fehlerlos gemacht. Dennoch ist für den Kuriositätensammler etwas zu finden, insbesondere die "alte Leier":

Ich hoffe, Sie haben die stilvolle Szene mit Holztisch und glänzendem Brett ganz oben ausreichend gewürdigt? Bitte noch einmal genau schauen! Ja, die weiße Spielerin nimmt offenbar gerade mit ausladender Bewegung eine schwarze Figur vom Brett, immerhin denkbar. Aber ein Detail stimmt ganz sicher nicht: "White is right", pflegt der Engländer zu sagen .... :-)

Ein liebevoller gemachter Zeichentrickfilm (hier) begleitete gleich mehrere Sendungen. Sehr richtig, "weiße Dame, weißes Feld, schwarze Dame, schwarzes Feld." - Trotzdem ist was falsch, so ein Pech. Und ich meine nicht die Bauern auf Reihe 6½ ...!


Screenshot: ORF


Aber ganz egal, das Wichtigste ist: Schach wird offenbar neu entdeckt! Ein besonders gutes Zeichen ist, dass alle Berichte im Bereich der Kultur angesiedelt sind. Auch wenn die Verbände in ihrer Pressearbeit fast ausschließlich auf Schach als Sport setzen: Als kultureller Wert hat Schach in der breiten Öffentlichkeit sichtlich den weit besseren Ruf - und den besseren Platz!*

* Wie stets verweise ich dazu auf die auch 17 Jahre später noch aktuelle Tagebuchgeschichte Nr. 45.

Zu falschen Eckfeldern und Aufstellungen siehe auch die Tagebuchgeschichten Nr. 13, 22, 27, 31, 32, 48, 69, 76, 90, 95, 98, 109, 113, 118, 119, 126, 130, 139, 144, 145


 

Nr. 146: What's another year? (13.3.2021)

Ein ganzes Jahr kein Tagebuch-Eintrag?! Was ist mit Schachimedes los, fragt gelegentlich noch jemand. Verschollen? Depressiv? Verstummt?

Die Antwort: Schachimedes hat die Zeit als tatsächlich erholsame "Pause vom Leben" genossen. Denn dieses Jahr war wirklich eine miserable Zeit für Humoristen und Kuriositätensammler - denn die Wirklichkeit hat unzweifelhaft jede Satire überholt: Die irreale Corona-Zeit an sich, die juristisch-humoristischen Covid-Verordnungen, die "Covidioten", Trumps Amerika, wunderliche schachpolitische Umbrüche im Wiener, Österreichischen und Deutschen Schachverband, ein Frauenschach-Mega-Hype durch eine Netflix-Serie und und und ....

Auch für Menschen, die sich mit Schach im Internet herumtreiben (oder gar Geld damit verdienen wollen), keine leichte Zeit, denn im Internet gibt es nach diesem Jahr schon mehr Schachtrainer als Schachschüler.

Machen wir also am 13. März, exakt ein Jahr nach dem legendären "Klopapier-Einkaufs-Freitag", ein kleines Experiment. Welche Zeitungs-Schlagzeilen hätten vor einem Jahr Fassungslosigkeit und komplettes Unverständnis ausgelöst?

Man lese das Folgende so, als ob man soeben von einem einjährigen Dornröschenschlaf erwacht wäre.

Wirt zum dritten Mal beim Bewirten erwischt - Anzeige!


Schlau: Bäcker lockt Kunden mit Gratis-Klopapier


Skandal: Tausende Angestellte gehen weiter ins Büro


Bildungsminister will Matura verbieten


Beim Schneiden ertappt - Polizei stürmt Frisiersalon


Auch hinsichtlich Schach war man nicht vor Überraschungen gefeit. Hätte man je gedacht, dass Folgendes verboten sein könnte? (Na bestenfalls wegen der Maske!)

(Quelle: Heute)

 

Und wer hätte vor einem Jahr ahnen können, welch seltsame, gewiss nicht leicht zu beschaffende Mitbringsel strikte Voraussetzung für ein Schachturnier sein könnten:

Babyelefant bei Schachturnier Pflicht!


Oder Turnierregeln, die früher bestenfalls im Fasching durchgegangen wären:

Maskenpflicht im Spielsaal (auch während der Partie, die Maske darf aber zum Trinken kurz abgenommen werden). Das sonst übliche Händeschütteln ist zu unterlassen und durch eine kontaktlose Geste wie Kopfnicken o.ä. zu ersetzen.

Diese Formulierung stammt übrigens aus dem umfangreichen Corona-Konzept, das der Österreichischen Schachbund für jene Veranstaltungen erstellt hat, die stattfinden durften.

Dabei müssen wir Corona dankbar sein. Denn eine weitere in diesem Konzept enthaltene Regelung wäre ohne Corona nie entstanden, ja geradezu undenkbar gewesen und, meiner Erfahrung nach, schärfstens bekämpft worden. Beten wir also, dass sie auch in der Post-Corona-Aera beibehalten wird:

Der Spielraum muss die Möglichkeit zur Lüftung haben. Dies kann entweder durch eine ausreichend dimensionierte Lüftungs-und Klimaanlage oder durch Fenster gewährleistet sein. Im letzteren Fall ist empfohlen jede volle Stunde für fünf Minuten zu lüften.

Immerhin. Satte fünf Minuten. Pro Stunde. Empfohlen. (Nicht etwa vorgeschrieben.)
Aber man ist ja schon froh. Wer je im oberen Stock des Wiener Haus des Schachsports eine Veranstaltung mit mehreren Wettkämpfen erlebt hat, weiß, wovon ich rede.


Nr. 145: Verkehrte Welt (29.3.2020)


Nein, nein, nein. Ich mache mich nicht über "Schach nach Corona-Zeiten" lustig. Ansonsten wären mir durchaus makaberere Überschriften in den Sinn gekommen. (Immerhin darf ich das seltsame Wort "makaberere" erstmals im Leben verwenden.)

Es ist tatsächlich mehr oder weniger Zufall, dass dieses Foto in Corona-Zeiten im Tagebuch erscheint. Aufgenommen habe ich es nämlich schon Ende Jänner, als in der Wiener Stadthalle die Ausstellung "Körperwelten" lief.

Das Unterbewusstsein eines Sammlers von unrichtig aufgestellten Brettern und Figuren beginnt beim Anblick des plastifizierten Schachspielers, das Eintrittsgeld seines Inhabers zu verschleudern. Es war mir einfach nicht möglich, den grandiosen Schachspieler gebührend zu betrachten; mein Blick glitt, ohne dass ich mich irgendwie dagegen wehren konnte, immer wieder zum Brett, um die Aufstellung zu studieren. Es wird doch wohl, zumal die Ausstellung monatelang lief, ein Schachbrett halbwegs präzise aufgestellt sein - angesichts der unglaublichen Detailtreue der plastifizierten Menschen geradezu eine Lappalie.

Wir sehen schon: "Weiße Dame, weißes Feld" ist richtig, aber "schwarze Dame schwarzes Feld" nicht. Obwohl gerade die schwarze Dame gefühlsmäßig stimmt und die weiße nicht! Aha, na eben, rechts unten ein schwarzes Eckfeld, also ist, wie so oft, das Brett um 90 Grad verdreht!

Doch ein näherer Blick widerlegt diese Vermutung und macht das Ganze rätselhaft. Ich meine mich zu erinnern, dass es mir zusätzlich zu der von Haus aus unheimlichen Atmosphäre (na ja, irgendwie schon lauter Leichen) kalt über den Rücken lief. Sehen Sie doch unten selbst: a- und h-Linie sind ganz deutlich als solche beschriftet! Steht das Brett also richtig?!


Nein, auch das nicht! Die Lösung ist einzigartig. Man muss noch genauer hinschauen. Wir haben einen bisher noch nie gesehenen Fall von falsch aufgestellten Figuren und Brettern, der die Besonderheit aufweist, dass er üblicherweise gar nicht vorkommen kann. Das Brett ist sehr wohl richtig beschriftet - es steht aber falsch herum, aber nicht um 90 oder 180 Grad. Man muss die Großbuchstaben der b-, c- und d-Linie genau betrachten:

Das Brett steht demnach kopfüber, upside down! Was eben nur bei einem Glasbrett möglich ist.

Sinnbildhaft eine aus den Angeln gehobene, umgestürzte Welt - insofern passt die Geschichte doch bestens zur Corona-Zeit.

 



Nr. 144: Torten (6.3.2020)

Schachtorten sind etwas sehr Feines. Optisch ein großartiger Blickfang bei jeder Siegerehrung, und manchmal schmecken sie sogar. Es mag eine zuckersüße Bosheit des Schicksals sein, dass man gerade in Wien, der Stadt mit großer Tortenkultur, einiges Pech mit Schachtorten haben kann.

Bei den Siegerehrungen von Wiener Weihnachtsturnieren gab es in den letzten beiden Jahren wunderbare Exemplare.

Zuerst die perfekte Torte von Weihnachten 2018:

Links unten (a1) ein schwarzes Feld, rechts unten (h1) ein weißes Feld, passt super. Ein Blick von der Seite allerdings offenbart ein gewisses Manko. :-) Die Ziffern 1 bis 8 stimmen ja noch, aber ...

Weiter zum Exemplar Weihnachten 2019, möglicherweise sogar vom selben Bäcker, derselben Bäckerin angefertigt. Gut hat sie geschmeckt, darf ich berichten. Mehr noch interessiert uns allerdings das Abzählen: 8x8 - juhu, aus den Fehlern gelernt, heuer passt endlich alles! Alles??

So ein Pech aber auch! Die Nummerierung ist nicht ganz gelungen, genauer gesagt sogar doppelt falsch, wie man nach einigen Sinnieren feststellt. Ob etwa der mysteriöse Pfeil auf g8 (irgendwie b8, aber eigentlich h7) für Irritation gesorgt hat? Wie dem auch sei - wir warten gespannt auf nächstes Jahr.


(Dank an Kathi N. und Gregor N. für Hinweise und Foto.)



Nr. 143: Carlsen oder ich (10.11.2019)

Eine Schachmeldung hat es kürzlich wiedermal in den ORF und in etliche Printmedien gebracht. Nichts Inhaltlich-Sportliches, das ist ja keine Überraschung (siehe die ewig gültige Tagebuchgeschichte Nr. 45), sondern Carlsens Rekord:

Schachweltmeister Carlsen bricht Rekord!
Er bleibt 101 Partien in Serie ungeschlagen (im klassischen Schach) und übertrifft damit den Rekord des Chinesen Ding Liren, der 100 Partien lang ungeschlagenen geblieben war.

Die letzte Verlustpartie Carlsens datiert vom 31. Juli 2018, er blieb demnach 447 Tage ungeschlagen. Vor Carlsen und Ding Liren hatte der großartige Michail Tal diesen Rekord jahrzehntelang gehalten, sogar zweifach: Von Oktober 1973 bis Oktober 1974 blieb er 95 Partien lang ungeschlagen; damit verbesserte er seinen eigenen Rekord von 85 Partien (April 1972 bis April 1973). Interessant, dass Tal für ca. hundert klassische Partien rund ein Jahr benötigt hatte, Ding Liren und Carlsen dagegen ca. 15 Monate. Man hätte es eher umgekehrt erwartet.

Das brachte mich zum Nachgrübeln, wie lange ich brauchen würde, um Carlsens Rekord zu brechen. Ein Scrollen und Zählen in meiner Partien-Datenbank ergibt: Wenn ich in derselben Frequenz weiterspiele wie bisher und ab heute ungeschlagen bleibe, schaffe ich die 102 Partien immerhin in nahezu zehneinhalb Jahren, exakt am 25. Mai 2030. Das ist lang. Ein lächerliches Zusatzprobem, das wohl in den Griff zu bekommen sein wird, ist, dass ich meinen persönlichen Ungeschlagenheits-Rekord ein klein bisschen steigern muss. Der liegt im Moment bei 12 Partien..

 

Angesichts dessen muss man realistisch bleiben: Mir scheint es leichter, auf gegenteilige Rekordjagd zu gehen. Ich habe zwei Varianten im Auge:

1) Man betrachtet die 15 Monate der Serie Carlsens. Hier darf ich stolz kundtun: Fast genau zu dem Zeitpunkt, als Carlsen seine letzte Partie verloren hat, habe ich meine letzte gewonnen.

2) Am erfolgversprechendsten ist aber, den umgekehrten Rekord in Angriff zu nehmen. Folgerichtig arbeite ich gerade an der längsten Serie von Niederlagen en suite. Die fünf Stück sind immerhin ein guter Start.

Jedem das Seine.


Nr. 142: Wie’s d‘ g‘spüd host (14.6.2019)

Am Ende einer schweren Spielsaison bleibt mir ein Satz im Kopf, der heuer öfters fiel als sonst. Mein Verein, zur Freude von neun anderen heuer in der höchsten Wiener Spielklasse, traf auf übermächtige Gegner, und die Partien nahmen zumeist das entsprechende Ende. Und so war bisweilen der für Zuhörer kryptische Satz zu hören: "Wie’s d‘ g‘spüd host." Wer meint, hier eine Frage herauszuhören, liegt völlig falsch. Der Satz hat selbstverständlich ohne Fragezeichen und ohne Antwort zu bleiben.

Um Uneingeweihte teilhaben zu lassen, muss ich Jahrzehnte zurückgehen. Mein besonderer Dank gilt dabei meinem Freund und Klubkollegen Thomas H., der mir die Originalszene detailgetreu schilderte und auf meine fassungslose Frage "Wieso weißt du das noch so genau?" trocken, in bester torberg'scher Tante-Jolesch-Manier entgegnete: "Weil ich zwei Meter daneben gestanden bin".

Einer der bekanntesten Turnierleiter Österreichs war bis Mitte der 90er-Jahre Hans-Günter Führer, stets "Führer jun."genannt, (heute auch schon an die Achtzig). Das "jun." lässt darauf schließen, dass es auch einen "Führer sen." geben musste. Ich habe tatsächlich noch den Vater Johann Führer, eben "Führer sen.", ebenfalls Turnierleiter, erlebt, den Hauptdarsteller dieser Geschichte. Zweiter Protagonist ist der damals gut bekannte "AZ-Redakteur" Heribert Benesch, Sport-Journalist bei der Arbeiterzeitung, wo er jahrzehntelang auch eine Schachkolumne hatte. Er war ein sehr guter "Ligaspieler" (was damals als Maßstab galt und heute wohl dem MK-Titel entsprechen würde), wobei die Selbsteinschätzung seines Könnens wohl eine Spur höher lag als seine Spielstärke.


Typisches Setting aus den 70-ern

Mitte der 70er-Jahre, bei der Wiener Stadtmeisterschaft im damaligen Sozialministerium, spielte sich folgender Dialog ab.

AZ-Redakteur Benesch kommt nach der Partie zum Turnierleitertisch und schildert ausführlich, wie gut er gestanden ist. Turnierleiter Führer sen. will das Ergebnis eintragen: „Und, wie host g’spüd?“ Benesch geht wortreich weiter ins Detail. Führer, emotionslos und beharrlich: Wie‘s d‘ g’spüd host!“
– Überflüssig zu sagen, wie die Partie ausgegangen ist.

In diesen drei Worten liegt somit kaum die Frage nach dem Resultat (das ist bereits offenkundig), sondern viel mehr, nämlich:
- ein Zurückholen auf den Boden samt Abstoppen der "Hätti-Wari-Träume";
- eine Bekundung, wie herzlich egal dem Empfänger die Schilderung der Partie ist;
- eine (je nach Tonfall) milde oder energische, schadenfrohe oder im besten Fall mitfühlende Zurechtweisung auf das (leider) einzig Zählbare einer Partie: das Ergebnis!

Man möge also in meinen Kreisen zurückhaltend mit dem beliebten Brauch sein, nach einer Niederlage die Vorzüge des eigenen Spiels zu preisen. Zu leicht könnte dieser, in seiner Endgültigkeit bleischwere, Satz fallen und einen in (noch viel tiefere) Depressionen abgleiten lassen.


Nr. 142: Public Viewing (2.12.2018)

Juhu, Schach im Fernsehen! "Österreicher bei der Schach-WM" lautete der äußerst verheißungsvolle Titel des ORF-Beitrags in der Sendung "Mittag in Österreich", die täglich von 13.15 bis 14.00 Uhr über Aktuelles in Österreich berichtet. Nein, Markus Ragger hatte sich leider noch nicht für den WM-Kampf qualifiziert, es war eigentlich eine klassische "Titel-Verfehlung". Der Beitrag handelte nämlich überhaupt nicht von Österreichern bei der Schach-WM. Der Moderator stellte klar, dass es vielmehr um die WM Carlsen-Caruana in London ging: "Wir haben die österreichischen Fans beim Public Viewing besucht."

Man war freudig gespannt - wo hat das stattgefunden? Am Rathausplatz auf Großleinwand? In der Stadthalle? In der vor Fans überquellenden Lugner-City? Zumindest im von Gejohle berstenden Cafe Weidinger?

Nichts davon. Mit leichter Enttäuschung erkannte man schon das vertraute, im November-Regen noch ein wenig trister wirkende Haus des Schachsports neben dem Praterstadion. Aha, dort also Public Viewing?! Aber ja doch! Die Kamera führte uns in den kleinsten Raum, der perfekt passte und von den gezählten zehn Zusehern (beinahe) gefüllt wurde, die (mehr oder weniger) euphorisch auf (mehr oder weniger) Großleinwand dem WM-Tiebreak folgten.

Menschentrauben beim Public Viewing ....

... im überquellenden Haus des Schachsportes

Dazu lieferte der ORF auch einige kurze Interviews, allen voran zum Glück mit der erquicklichen Jungmeisterin Denise Trippold. Diese zählte auch begeistert die Vorteile des Schachs auf, im Originalinterview garantiert mitreißend; nach dem Schnitt blieb jedoch im Wesentlichen nur die Aussage übrig, dass auch Taube und Blinde Schach spielen können.

Etwas weniger erquicklich (bitte um Verzeihung, aber das ist ja nicht weiter verwunderlich) die männlichen Interviewpartner. Hans Pöcksteiner, Präsident des Wiener Verbandes, durfte einen allgemeinen Satz zur Schach-WM sagen, von GM Buhmann war ein Statement über Sekundanten (warum in aller Welt auch immer) zu hören. Eine Blitzpartie zwischen Denise Trippold und ÖSB-Präsident Hursky eröffnete dem Fernsehpublikum schließlich noch die Gelegenheit, den in seiner Leere wunderschönen Buffet-Raum des "Haus des Schachsports" zu bewundern.

Halt, ein Mann muss noch vor den Vorhang! Mein Oscar für den besten Nebendarsteller geht ganz eindeutig an Wiens Liga-Urgestein Lambert Danner, der sich im Hintergrund in seiner gewohnt bedächtigen, geradezu stoischen Art und Weise am Kaffeeautomaten zu schaffen machte, was den gesamten Bericht ungemein belebte.

 

Blitzpartie von Denise Trippold gegen Präsident Hursky, dahinter Präsident Pöcksteiner ...


-... sowie am Kaffeeautomaten (ganz ganz rechts) der Oscar-Kandidat Lambert Danner.

Am Ende erfuhr man noch, dass der "heutige Weltmeister feststeht" und Magnus Carlsen die WM mit "3:0 Punkten gewonnen" hatte. Sowie, dass sich Wien um die Schach-WM 2020 beworben hat und, sollte diese hier stattfinden, dies ein Grund zum Jubeln für die österreichischen Schachfans wäre. (Da kam einem unwillkürlich die Assoziation an die glorreichen Zehn von vorhin.)

Das wars auch schon. Die Aussage des Beitrags blieb zwar etwas im Verborgenen, und so richtig Werbung für Schach wars ja dann auch nicht. Erinnerungen an die Tagebuchgeschichte Nr. 102 ("Zwischen Papageienball, Eierspeisshow und Gatschenten") wurden wach. Aber Schach war wiedermal im Fernsehen. Bravo. Punkt.

Nur bis 6.12. ist der Beitrag noch in der TV-Thek zu sehen:
https://tvthek.orf.at/profile/Mittag-in-Oesterreich/13887636/Mittag-in-Oesterreich/13996795/Oesterreicher-bei-der-Schach-WM/14404622

 


Nr. 141: Was man haben kann (6.8.2018)

Abendliches Sommergespräch. Ich unterhalte mich mit Schachfreund Florian F. über dies und das, über diesen und jenen aus der Schachszene. Es kommt die Rede auf einen bestimmten, nicht ganz verhaltensunauffälligen Schachspieler.

"Du kennst den näher?", frage ich, und weiter, etwas zögernd: "Gell, der hat was?" Man darf mir den respektlosen Ausdruck nicht übelnehmen, denn "der hat was" ist, zumindest in Wien, umgangssprachlich eher harmlos gemeint. Als Antwort, was er habe, wäre etwa zu erwarten: ein bissl einen Huscher, einen Klamsch, einen Klopfer. (Auf Hochdeutsch wohl Schuss, Macke, Meise; als kleinsten gemeinsamen Teiler könnten wir uns auf Vogel einigen.) Aber nichts davon folgte.

Zum Dialog zurück.

Ich: "Gell, der hat was?"
Florian F., ganz trocken, unaufgeregt: "Ja, der hat Schach."




Nr. 140: Quadrupelschach, ganz legal (21.6.2018)

Nur wenige Schachspieler in Österreich, geschweige denn alle Schiedsrichter :-), haben mitbekommen, dass seit 1.1 2018 eine Revolution der Blitzregeln stattgefunden hat. Bisher war beim Blitzen für Generationen von Schachspielern klar: Ein "unmöglicher Zug" verliert sofort! Seit Jahresbeginn verliert jedoch erst der zweite unmögliche Zug - und zwar sowohl beim Langschach, als auch beim Schnell- und (!!) beim Blitzschach. (Statt dem im Volksmund gebräuchlichen "unmöglicher Zug" wäre übrigens korrekter: "illegaler Zug".)

Das, samt der spektakulären Carlsen-Inarkiev-Affäre, veranlasste mich, in meiner Kolumne im österreichischen Schachmagazin "Schach-Aktiv" eine fantastische Möglichkeit anzusprechen: Den heiligen Gral, das letzte Einhorn, sprich: das sagenumwobene Quadrupel-Schach - ein legales doppeltes Doppelschach!

Studieren wir vorweg aber die Vorkomnisse in der angesprochenen Partie des Weltmeisters bei der Blitzschach-WM Dezember 2017:

Carlsen (Weiß) - Inarkiev (Schwarz), Riyahd 2017
Hier ereignete sich mit wenigen Sekunden auf beiden Uhren folgendes Drama:

- Carlsen zog 1.Txb7+.
- Inarkiev ignorierte das Schach und zog 1…Se3+. Kein Schiedsrichter beobachtete das Brett.
- Carlsen vergaß auf sein Schach und zog 2.Kd3 (Natürlich hätte er „unmöglichen Zug“ reklamieren können und - Regeln 2017! - sofort gewonnen.)
- Inarkiev stellte die Uhr ab und reklamierte, Carlsen seinerseits hätte einen illegalen Zug gemacht; mit Ausführung seines Zuges hätte Carlsen sein Reklamationsrecht verwirkt.
- Der Schiedsrichter stimmte zu und erklärte die Partie für Carlsen verloren.
- Der Hauptschiedsrichter bestimmte nach Protest Carlsens, dass die Partie nach Kd3 fortzusetzen sei. Inarkiev verweigerte das; daher wurde die Partie als Sieg Carlsens gewertet.

Die große Frage (und hier wird es sicher noch Diskussionen und Klarstellungen der FIDE-Regelkommission geben):
Ist Carlsens Zug als regelwidriger Zug anzusehen? Schließlich entspricht der Ablauf sichtlich nicht den Schachregeln. Die wohl richtige Meinung lautet: Carlsens Zug war nicht regelwidrig! Hauptbegründung:
a) Für sich alleine war der Zug sowieso nicht regelwidrig;
b) es entstand dadurch keine unmögliche Stellung und
c) schließlich soll nicht jener belohnt werden, der den (ersten) illegalen Zug ausführt.
FAZIT: Carlsens Zug erfolgte zwar aus einer illegalen Position, war aber per se legal.

Zu einem regelwidrigen Zug beim Schnellschach sagen die FIDE-Regeln:
Wenn der Schiedsrichter nicht eingreift, darf der Gegner reklamieren, vorausgesetzt der Reklamierende hat seinen nächsten Zug noch nicht ausgeführt. Wenn der Gegner nicht reklamiert und der Schiedsrichter nicht eingreift, bleibt der regelwidrige Zug bestehen und die Partie wird fortgesetzt. Hat der Gegner seinen nächsten Zug ausgeführt, kann der regelwidrige Zug nicht mehr korrigiert werden, es sei denn, die Spieler einigen sich hierauf ohne Anrufung des Schiedsrichters.

Im Langschach würde der unmögliche Zug zurückgestellt, auch wenn man erst später in der Partie draufkommt. Doch im Schnell-und Blitzschach zwingt einen niemand, den unmöglichen Zug zu reklamieren - vielleicht gibt es ja Besseres!

Stellung nach GM H.P.Nielsen

Stellung nach Doggers (Chess.com)

Stellung nach Vardapetyan, FIDE-Rulesman

Nach 1.e4 d6 2. Lb5+ hat Schwarz das Schach übersehen und 2…h7-h5 gezogen. Weiß könnte nun unmöglichen Zug reklamieren und eine Minute Zeitgutschrift erhalten. Aber besser als eine Zeitgutschrift ist wohl ein Turmgewinn! Somit spielen wir 3.Dxh5, worauf der Gegner das Schach abwehren müsste; danach folgt 4.Dxh8.

Noch ärger wäre Schwarz dran, hätte er nach 1.e4 d6 2. Lb5+ 2…f7-f6 gezogen. Statt unmöglichen Zug zu reklamieren, setzt Weiß einfach durch 2.Dxh5 „Doppelschach“ matt!

 

Hier ist Schwarz soeben mit Kb8-a8 ins Schach des Läufers gezogen. Natürlich hat Weiß nun viel Besseres, als mit Reklamation des illegalen Zuges eine läppische Zeitgutschrift zu erhalten:
1.a6-a7 matt!

 

Der größte regeltechnische Diskussions-Spielraum liegt bei Diagramm 2. Der Zug ist legal, die Position nicht. Ein Problem ist, dass die FIDE-Regeln zwar eine illegale Position definieren, aber keine Sanktion für Erreichen oder Bestehen einer solchen enthalten. Die FIDE-Regeln sind auch nicht ganz eindeutig bei der Frage, ob Matt in einer illegalen Position möglich ist. Nimmt man an, dass ein Mattzug, der eine illegalen Positon herbeiführt, unzulässig ist, wäre es nötig, jeweils zu prüfen, ob der - anstelle der Reklamation des gegnerischen illegalen Zuges - ausgeführte Mattzug zu einer legalen Position führt.

Prüfen wir. In Diagramm 2 wäre die Position beim Matt offensichtlich illegal. In Diagramm 3 wird die Sache schon kompliziert. Ist die Mattstellung nach a6-a7 mit legaler Zugfolge erreichbar? Ja, denn das Abzugsmatt Kc6-b6+ wäre möglich gewesen. Stünde der Läufer hingegen auf c6, wäre kein legales Matt möglich gewesen! Diese Rechtsmeinung kann also höchst komplizierte Retroanalysen zur Folge haben, ist also alles andere als eine brauchbare Lösung. Zudem entstünde ein irrwitziges Paradoxon: Weiß dürfte im Diagramm 2 alles ziehen - außer mattsetzen!

Wer nach diesen regeltechnischen Purzelbäumen geistig noch nicht ausgestiegen ist, der erhält zur Belohnung endlich das

Quadrupel-Schach!

Sofern man davon ausgeht, dass ein Zug wie 2.Dxh5 matt im mittleren Diagramm zulässig ist, ist folgende Konstellation denkbar: Weiß gibt ein Doppelschach, das der Gegner ignoriert, indem er einen Zug macht, der den König im Doppelschach belässt. Weiß reklamiert nun nicht "unmöglichen Zug", sondern gibt ein neues Schach, wobei dieses neue Schach auch ein Doppelschach ist. Der schwarze König steht somit im Vierfach-Schach!

In "Schach-Aktiv" habe ich dazu aufgerufen, Beispiele zum Quadrupelmatt einzusenden, die originellsten werden veröffentlicht. Auch die Leser dieser Website sind herzlich eingeladen, mir bis Mitte Juli eigene Kompositionen per E-Mail zu senden!



Nr. 139: Seitenblicke (5.4.2018)

Dankenswerterweise lassen mich Stammleser unmittelbar an ihrem Leben teilhaben. So erfahre ich zum Beispiel, dass Werner W. einen Rundgang durchs Deutsche Spionagemuseum in Berlin gemacht hat, dass Martin K. über den Weihnachtsmarkt am Spittelberg geschlendert ist und dass Harry E. das Haus der Geschichte in St. Pölten nicht besucht hat.

Beginnen wir gleich damit, was Niederösterreich zu bieten hat.

Bildtext:
Ein lebendiges Stück österreichischer Geschichte. Das Schachspiel von Staatskanzler Renner hat einen Ehrenplatz im Haus der Geschichte.

Nach der Lektüre des Artikels fragt sich Harry E. zu Recht, ob das Schach wirklich so dort steht, wie am Foto abgebildet. Dies ließe sich ja immerhin bei einem kleinen Ausflug feststellen. Die Regel "weiße Dame- weißes Feld" wurde immerhin beherzigt.

Ob jedoch Karl Renner, Österreichs erster Bundespräsident, auf diese Art und Weise Schach gespielt hat, das werden wohl selbst die besten Historiker im Haus der Geschichte nicht klären haben können.

 

Wir wechseln den Schauplatz zum Weihnachtsmarkt am Spittelberg, wo Martin K. ein besonderes Exemplar entdeckte, das wahrlich einen zweiten Blick lohnt.

Die (schon obligat falschen) Eckfelder werden mit (nur mehr) müdem Lächeln wahrgenommen, hingegen erfreut sich auch der abgebrühte Schachspieler, der schon alles gesehen zu haben meint, an der kühnen Aufstellung der Figuren. Springer am Rande ist eine Schande. Und auch der Doppelschritt der Bauern zu Beginn der Partie bekommt hier eine ganz andere Bedeutung; er wird sozusagen zum Doppelsprung.

Das ist doch glatt die angeschriebenen 48 Euro wert, zumal - das Beste daran! - im Preis die beiden wunderschönen Würfel enthalten sind, die ja, wie wir wissen, in vielen Partien mit Sehnsucht herbeigewünscht werden.

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Nun aber zu einem geheimnisvollen Ort, ins deutsche Spionage-Museum nach Berlin. Hier ist ein Reiseschach (Steckschach) des DDR-Geheimdienstes ausgestellt.

Beschreibung: Im unteren Teil des Schachbretts verbargen sich eine Mikratkamera mit Kurbel und zwei Minox-Filmkassetten.

Wirklich gefinkelt! Was uns als Schachkuriositäten-Liebhaber jedoch noch mehr Rätsel aufgibt, ist die Aufstellung der Figuren. Entweder, die Spione wurden ganz schnell als solche entlarvt, oder, wie Werner W. vermutet, die Stellung beinhaltet möglicherweise immer noch einen Spionage-Code im Form einer bis heute ungelösten Retro-Aufgabe. Vielleicht wurden ja auch die Eckfelder ganz bewusst falsch gewählt...?!

Ein Detail jagt einem jedoch wahrlich einen kalten Schauer über den Rücken. Das ist der schwarze Turm h8/h7. (Nicht zu vergessen: bei einem Steckschach!!!)

 

 


Nr. 138: Polizist oder Feuerwehrmann (19.12.2017)

Letzten Samstag war im Fernsehen wieder die Sendung mit den gedrillten Kindern, die irgendetwas Spezielles sehr gut können und gegen (meist entsprechend chancenlose) Promis antreten."Klein gegen Groß" heißt das Ganze, und obwohl es spannend und pädagogisch gut gemacht ist und die meisten der Kinder "normal" wirken, habe ich immer ein flaues Gefühl im Bauch.

Diesmal wurde eine spektakuläre Schachwette mit österreichischer Hauptperson angekündigt: Der 9-jährige Adam S. aus Gänserndorf forderte den legendären Weltmeister Anatoli Karpow im Schach! Na bumm. Also gut, nicht in einer Partie. Aber immerhin mit folgender interessanter Aufgabe. Adam wettete: Ich erkenne mehr Schachpartien der offiziellen Schachweltmeisterschaften nur anhand der Schlussstellungen als Anatoli Karpow. (Dies samt Namen der Spieler sowie Ort und Jahr des Wettkampfes.)

Hier wird das Publikum natürlich ordentlich veräppelt. Denn die wichtigste Info bekommt man (auch als Fachmann) kaum mit. Natürlich kennt Adam nicht die Schlussstellungen sämtlicher WM-Partien. Auch Karpow nicht. Das wären nämlich weit über 1000, angefangen von Anderssen gegen Steinitz 1866, bis hin zu weniger bekannteren wie etwa Lasker-Marshall. Nein - es ging um die Schlussstellung der jeweils LETZTEN PARTIE eines WM-Kampfes! Das sind schon deutlich weniger, nämlich, wie soeben nachgezählt, wohl 43. Ein schönes Projekt für einen 9-Jährigen, sich diese samt Namen, Orte und Jahreszahlen einzuprägen, aber durchaus machbar.

Nun zum Ablauf, nachzusehen hier: https://www.youtube.com/watch?v=Ac7xhBN7sDY

Zunächst bekam jeder der beiden (einzeln) vier Stellungen vorgelegt. Sowohl Adam als auch Anatoli konnten souverän alle richtig zuordnen. Endstand 4:4, somit musste ein Stechen entscheiden: Wer den Buzzer früher drückt, würde als Erster antworten dürfen.

Kaum war die Stellung zu sehen, drückten beide gleichzeitig auf den Buzzer - mit Sicherheit noch bevor sie die Stellung erkannten! Dies nicht hastig, sondern mit geradezu "höflicher Eleganz". Vermutlich, weil beide sicher waren, sie würden JEDE der gut 40 Stelllung erkennen. Die Zeitlupe zeigte dann, dass Anatolis Hand die untere war, er somit der hauchdünn Schnellere.

"Wenn der Wappler langsamer drückt als der alte und blade Karpow, ist er selber schuld", so der beinharte Live-Kommentar meiner Familie vor dem Fernseher.

Veto! Veto! Veto! Da muss ich den kleinen Adam in Schutz nehmen! Hier fiel Adam nämlich der durch hunderte WM-Kämpfe erprobten Schlauheit Karpows zum Opfer:


Kaum wird der Deckel gelüftet, heben beide gleichzeitig die Hand

Der gefinkelte Karpow stellte sich nämlich (genial!!) links vom Buzzer hin, sodass Adam rechts stand und seine rechte Hand entsprechend weit weg war. Das war tatsächlich entscheidend, wie man bei mehrmaligem Zeitlupenstudium leicht feststellen kann. Beide machten exakt gleichzeitig die gleiche Handbewegung, doch zwangsläufig musste die Hand des schlauen Karpows früher am Buzzer landen.

Natürlich wäre nun ein klassisches Remis das gerechte Ergebnis gewesen, doch dies fiel weder Karpow noch den Sendungsverantwortlichen ein. So verlor der leicht enttäuschte Adam das Duell, ohne etwas falsch gemacht zu haben. Und Karpow hat jetzt die schlechte Nachred', viel zu ergeizig gewesen zu sein.

Die Hände landen am Buzzer ...

 



Karpows Hand ist unten!

Dennoch ist Adam aus Gänserndorf der groooße Sieger für mich. Nicht etwa wegen des Auswendiglernens von gut 40 Stellungen. Weit wertvoller ist seine Antwort auf die Frage des Moderators, was er einmal werden will. Zweifellos würden viele Jungtalente als Antwort nun "Schachgroßmeister" plappern und dies in der kindlichen - bzw. elterlichen - Naivität leider auch so meinen.

Doch Adam sagte tatsächlich: "Ich möchte einmal gern Polizist werden - oder Feuerwehrmann."

Bravo Adam!! Solange du Feuerwehrmann oder Polizist werden willst, wirst du am Schach immer Freude, Spaß, Vergnügen haben! Und ich traue mich zu behaupten: Als Polizist oder Feuerwehrmann wirst du aller Wahrscheinlichkeit nach ein weit besseres Leben haben als als Schachgroßmeister!

PS: Siehe auch Tagebuch Nr. 125 und 115


Nr. 137: Pointe des Jahres (17.12.2017)

Mühsam ringt man sich jahrelang humorvolle, originelle, groteske Tagebuchgeschichten ab, und dann bremst einen die Realität mit Leichtigkeit aus. So etwas Humorig-Groteskes kann man nicht erfinden:

Der neue Vizekanzler Heinz-Christian Strache bekommt das Sportministerium. Schach ist bekanntlich Sport. Somit ist der "Vizemeister-Flunkerer" (siehe Nr. 136) ab morgen tatsächlich Schach-Minister. Oder, wenn Sie's lustiger finden, der Schach-Minister ein Vizemeister-Flunkerer.


Nr. 136: Faktencheck (6.10.2017)

Ich habe es gehört. Endlich. Aus seinem eigenen Munde.

In Tagebuchgeschichte Nr. 96 habe ich ja (überwiegend scherzhaft) die Vermutung aufgestellt, dass einmal aus HC Straches - geflunkertem - "2. Platz in der Wiener Schach-Schülerliga" ein - noch weit geflunkerterer - "Vizemeister von Wien" werden wird.

Normalerweise schaue ich ja, ehrlich gesagt, nicht KRONE-TV im Internet, doch zum dankenswerten Hinweis von Tagebuch-Leser Josef M. konnte ich nicht nein sagen. Moderator Max Schmiedl lädt in einer Serie namens "Stiegenhaus West" diverse Gäste zu Kurzinterviews ein. Zuletzt war eben Heinz-Christian Strache zu Gast, und der Moderator brachte das Thema Schach aufs Tapet. Denn im Schach hat ja Strache, wie Stammleser bereits wissen, angeblich, besser gesagt, vorgeblich, eine ganz besondere Vergangenheit.

EINGANGS-DIALOG:
Moderator Schmiedl (leicht erstaunt): "Du warst Schachmeister in Wien, ist das richtig?"
Strache (wirft ein): "Vize, Vizemeister!"
Schmiedl: "Vize-Schachmeister von Wien?"
Strache: (nickt eifrig)
Schmiedl: "Wie alt warst du da?"
Strache: "Äh, 12 Jahre, wenn ich nicht irre."

Strache zeigte - erwartungsgemäß - erstaunliches Insider-Wissen, als er gleich die "Tschabralnikow-Variante" erwähnte (Schmiedl: "Wie?" Strache wiederholt: "Tschabralnikow-Variante"), die ja sonst - aus unschwer zu erratenden Gründen - überhaupt keinem Schachspieler bekannt ist.

Schließlich forderte der Moderator Strache zu einer Partie Blitzschach auf (Strache: "Bridge kann ich gar net!"), wobei die Uhr durch hektische Zurufe ersetzt wurde. Unter zugegeben schwierigen Verhältnissen musste also der Vizemeister erstmals im TV seine Qualitäten zeigen. Man muss Strache zugestehen, dass er es mit Humor nahm. Vermutlich hatte er aber zu seiner Vizemeisterzeit die lange Rochade nie benötigte, denn nur so lässt sich erklären, warum er dieselbe als typischen Anfängerfehler (Kb8, Tc8) ausführte. Moderator Schmiedl setzte auch bald den unsicheren König mit einem Bauern auf b8 matt, wiewohl regeltechnisch nicht ganz astrein.


Soeben wird die falsche Rochade vollendet


Abzugsmatt durch a7xTb8-Bauer?!


Soviel zum Wiener Vizemeister. Ob Selbiger den berühmten "Faktencheck" übersteht, mögen die Nichtstammleser in Tagebuchgeschichte Nr. 96 nachlesen. Man kann sich's ja schon denken ...

Nur so viel. Der Wahrheit am nächsten kommen dürfte die diesbezügliche Formulierung im profil 2014, die da lautet: Einmal schaffte er es bis zum Wiener Vizemeister in einer Schülerklasse. - Ja, das könnte stimmen. Nämlich 1980/81 zum Vizemeister der Schülerklasse 2b der Hauptschule Strebersdorf.

Jedenfalls ist meine damalige Prophezeiung nachweislich in Erfüllung gegangen, was mich höchst erfreut. Denn offenbar halten nicht nur meine Aussagen, sondern selbst meine Prophezeiungen einem "Faktencheck" stand. Und das kann bei Gott nicht jeder Protagonist dieser Geschichte für sich in Anspruch nehmen.

Ganze Sendung: http://www.krone.at/591575
Blitzpartie: https://www.facebook.com/krone.at/videos/1940120222666621/

Zu weiteren blauen Heldentaten auf dem Schachbrett siehe Nr. 123 und Nr. 27.

Zum Nachlesen, aus Tagebuch Nr. 96 (25.2.2011):

Die angebliche Schach-Karriere in der Jugend führt uns zu einem Protagonisten, der auf die Frage in einem Interview *, welche Hobbies er ausübe, so beginnt: "Jeglichen Sport, ich war Vierter im Judo von Wien, Zweiter im Schach, in der Schülerliga, ..."
Schülerliga, da kenn ich mich aus! Mit großer Freude dürfen wir somit eine Behauptung des mehr oder weniger "jokenden" Wiener Politikers H.C.Strache auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Wer mag, darf sich danach, natürlich nur für den höchstpersönlichen Gebrauch, einen Reim auf den Wahrheitsgehalt sämtlicher anderer Aussagen machen.
"Zweiter im Schach, in der Schülerliga." Zumindest ein wenig suggeriert wird: Wiens zweitstärkster Schachspieler! Vizemeister von Wien, das wäre nicht schlecht, denn zu Straches Jugend (Jahrgang 1969) war kein Geringerer als Niki Stanec (Jg. 1968) stärkster Wiener Jugendspieler.
Was stimmt davon? Schülerliga ist ein Mannschaftsbewerb zwischen Schulmannschaften - also gleich einmal nix mit "zweitbester Wiener". Der Bewerb wird seit 1981 ausgetragen. Strache besuchte die Hauptschule Strebersdorf von 1979 bis 1983, hätte also drei Jahre die Gelegenheit gehabt. Dass Hauptschulen an der Schülerliga teilnahmen, war eher selten, Strebersdorf nahm stets mit dem Gymnasium teil. Falls die Hauptschule Strebersdorf in den Jahren 81-83 je teilgenommen hat (was ich für eher unwahrscheinlich halte), ist sie mit Sicherheit nie Zweiter geworden.

*Wahlchat 2006 orf wien



Nr. 135: Der Phantomsieg (9.6.2017)

Vorgestern führt mich mein Weg wiedermal in den besten (keineswegs, weils der einzige ist) Schachladen Wiens, zum Schach&Spiele, geführt vom schon zu Lebzeiten zur Legende gewordenen Michael Ehn, dem besten Schachhistoriker und profundesten Schachkenner Österreichs, ja ganz Europas; mit Kenntnis aller Personen, aller Züge, aller Partien - und darüberhinaus vertraut mit jeder Zeile, die je über Schach geschrieben wurde.

Freund Ehn begrüßte mich herzlich, wirkte jedoch hagerer als sonst; abgemagert und mit dunklen Ringen unter den Augen. Auch schien er mir noch schweigsamer als üblich; er, der ohnehin nur ganz ausgewählte Worte zu setzen pflegt. Fast tonlos hauchte er in unregelmäßigen Abständen unter gleichzeitigem Kopfschütteln das Wort "verloren?" vor sich hin. Ein Schatten schien über seinem Gemüt zu liegen. Seltsam. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen hatte, war er noch das blühende Leben - ja, genau, ich erinnerte mich, beim Verbandstag des Wiener Schachverbandes Anfang Mai war das gewesen!

Da, wo Präsident Hursky in seiner Abschiedsrede begeistert über seine Amtszeit geschwärmt hatte; und über seine schachlichen Fortschritte während dieser. Dazu muss man wissen, Christian Hursky ist organisatorisch ein leidenschaftlicher Präsident und spielerisch ein leidenschaftlicher Amateur. Amateur durchaus im besten Sinn des Wortursprungs: Also ein leidenschaftlicher Liebhaber. Schachliebhaber. Und als Höhepunkt seiner Schilderung hatte Hursky allen Delegierten offenbart: "Es ist mir sogar einmal gelungen, beim Simultan den großen Michael Ehn zu besiegen." Schon damals hatte Ehn, direkt neben mir sitzend, mit großen Augen fassungslos "ich?" und "verloren?" gemurmelt und minutenlang ungläubig den Kopf geschüttelt; bald darauf hatte er den Saal verlassen. Blass und leicht wankend, wir mir nun rückblickend scheinen mag.

Nun verstand ich. Wochenlang hatte Ehn seitdem wohl keine Nacht geschlafen, vielmehr grübelnd und erfolglos in seinen Erinnerungen gekramt, wann dieser Verlust passiert sein hätte sollen. Als ich ihn zögernd darauf ansprach, brach es aus ihm heraus: "Das ist es ja! Ich zermartere mir den Kopf. Ich wüsste nicht, wo und wann! Vielleicht ein Remis, das wäre irgendwie denkbar; aber verloren - ausgeschlossen!" Ich erwähnte irgendetwas von Prominenten-Simultans, bei denen alle Präsidenten oder Kanzler ein Kurzremis geschenkt bekommen. Worauf Ehn gleich im Staccato die Zugfolge einer Partie zwischen Kasparow gegen Wolfgang Schüssel aus dem Jahr 2006 (!) abspulte...

Beim Verabschieden murmelte ich einige aufmunternde Worte und schenkte meinem Freund Michel ein paar gebrauchte Eröffnungsbücher, die er mir stöhnend wieder ins Plastiksackerl zurücklegte. Immerhin brachte ich ihn so auf andere Gedanken.

Eine verzwickte Sache jedenfalls. Dass Hursky, ein grundehrlicher Präsident mit Handschlagsqualität, flunkert, ist ausgeschlossen. Dass Ehn, das wandelndste Schachlexikon aller Zeiten, sich irrt, ist ebenso ausgeschlossen.

Ich habe nur zwei Erklärungen.
1) Mag sein, dass der Präsident gegen Ehn einmal eine ehrenvolle Niederlage erzielte, im Nachhinein eine Gewinnvariante analysierte oder tatsächlich ein Remis errang ("Prominenten-Simultan"), und Schachliebhaber Christian Hursky empfand dieses tief bewegende Ergeignis so plastisch als Sieg, dass es in seiner Wahrnehmung zum tatsächlichen Sieg wurde. Somit hätte er völlig Recht.
2) Oder Ehn hat tatsächlich verloren, und dieses tief bewegende Ergeignis löste einen Schock und den damit verbundenen Schutzmechanismus im Hirn des Parade-Historikers aus, so dass es keinen Eingang in sein Gedächtnis nehmen konnte. Somit hätte er völlig Recht.

Suchen Sie sich Ihre Variante aus. Genau so muss es gewesen sein, und das werden noch unsere Kindeskinder so erzählen.

* * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * * *

PS: Wer jetzt auch noch auf die Zugfolge Schüssel-Kasparow gespannt ist, wird nicht enttäuscht.


Foto: Chess Base

Diese Episode von einer Promotion-Veranstaltung in Pasching im Jahr 2006 diene als Beleg für das unglaubliche schachhistorische Wissen Michael Ehns. Diese Partie, in Windeseile auf einem Steh-Tischchen gespielt, wurde inhaltlich kaum wahrgenommen. Nur Ehn, der als Zuseher zufällig Sicht aufs Brett hatte, bewahrte die Zugfolge für die Nachwelt.

Wolfgang Schüssel (weiß) - Garri Kasparow (schwarz)
1.e4 e5 2.Sf3 Sc6 3.Sc3 Sf6 4.Lb5 Lb4 5.a3 Lxc3 6.bxc3 d6 7.Lxc6+ bxc6 remis.

So liest sich die Meldung in "News":
Die Regie des Events sah vor, dass Kasparov dem Kanzler eine von seinen besten Partien zeigen sollte. Er wollte ihm vorführen, wie man mit den schwarzen Schachfiguren einen schnellen Sieg erzielen könne. Doch Schüssel nahm dann selbst die Figuren in Hand. So kam ein Dutzend Züge zustande. Der anwesende Schiedsrichter erklärte schließlich die Partie für Remis.

 


 

Nr. 134: Der unbekannte Fan (13.3.2017)

Kürzlich kommt mein schachspielender Junior von der Partie nach Hause und erzählt, ein netter älterer Herr der gegnerischen Mannschaft habe ihn gefragt: "Bist du etwa verwandt mit...?!" Auf die bejahende Antwort meinte der Herr erfreut: " Ich schaue täglich auf die Schachimedes-Seite, denn es könnte ja etwas Neues drauf sein!"

Manchmal dauert's eben bis zur nächsten Geschichte; heute gibt's gleich zwei neue. Irgendwie eigens für Sie, Herr S. - Danke für die Treue, unbekannterweise!



Nr. 133: Coup, Kuh, Q (13.3.2017)

Am letzten Klubabend nahm der junge Klubkollege Thomas H. mit geradezu ungläubigem Staunen eine tagesaktuelle Pointe wahr - man kann dazu auch sprachliche Entgleisung sagen -, als der schon ältere Peter T. bei der Partie-Analyse Sätze von sich gab wie "Wo geht die Kuh hin?", "Da greif ich die Kuh an" oder gar "Kuh eingestellt!" Man muss wissen, am Tag des Klubabends war ausgerechnet Weltfrauentag. Mir wäre nichts Sonderbares aufgefallen, da wir schon in der Jugend die Dame oft wie selbstverständlich "Kuh" nannten. Dies ganz ohne despektierlichen Hintersinn; das war einfach so.

Heute stellt sich natürlich die Frage: Ist es in Zeiten des Genderns und der political correctness, nicht zu vergessen am Weltfrauentag, überhaupt noch erlaubt, "Kuh" zu sagen? Auch vor dem Schach macht ja die Zeit nicht halt: Zwar würden viele Schachspielerinnen liebend gerne wie früher an Damenstaatsmeisterschaften teilnehmen, doch das geht nicht. Sie müssen Frauenstaatsmeisterschaften spielen.

Zurück zur Kuh: Nur auf Englisch oder in ganz vornehmen Schachkreisen sagt man ja wirklich noch "Köngin". Dabei hat sich die Bezeichnung "Dame" der Legende nach aus einem Übersetzungsfehler entwickelt: Aus dem persischen "Wazir" (Wesir=Minister) oder "Farzin", der schwächsten Figur am Brett, wurde arabisch "Firz", in Europa "Ferz" oder "Fers", dann "Fierce" - und weil das ähnlich klang wie französisch "Vierge" (Jungfrau), wurde plötzlich unsere Dame daraus, und diese auch noch zur stärksten Figur! Im Russischen heißt die Figur übrigens heute noch "Ferz", auf Ungarisch "Vezer", auf Türkisch "Vizer". Somit ist die Dame ohnehin keineswegs so damenhaft wie immer gedacht!

Wie's der unglaubliche Zufall will, stoße ich am selben Abend, immer noch Weltfrauentag, auf jene Passage aus Elias Canettis berühmten Roman "Die Blendung", in der die wohl vernichtendste Meinung in der gesamten Weltliteratur über die Schach-Dame geäußert wird. Die Frau des Schachmeisters Fischerle hat etwas gegen Schach-Damen, mit durchaus interessanter, einleuchtender Differenzierung: Sie teilt den Haß ihres Mannes auf die fremde Köngin und ist eifersüchtig auf die Liebe, mit der er die eigene hütet. Ihre Freundinnen - sichtlich lebt sie nicht in den besten Kreisen - nennen die Königin die Hur' und den König Strizzi. Und nun, Originalzitat: Für die Schachkönigin fand sie selbst Hur' zu gut.

Stört sich jetzt noch jemand an der harmlosen "Kuh"?

Wer sich aber nicht mit FrauenrechtlerInnen anlegen will oder wem - oh Gott! - das Wort in einer Analyserunde mit Damen, äh Frauen, herausrutscht, der benütze eine einfache Ausrede: Kuh sei keinesfalls abfällig gemeint, sondern leite sich simpel von der englischen Notation "Q" ab! Der rettende Coup!

Damit die gelegentlich vernichtende Meinung über die Schach-Dame anschaulich und verständlich wird, hier als Zugabe die vielleicht dümmste Kuh meiner persönlichen Schachgeschichte.

Weiß: H.M.
Schwarz: M. Stichlberger
A-Liga, Wien 2000

In rasender Zeitnot und ohnehin schlechter Stellung verlor meine Dame völlig die Contenance, entzog sich meiner Kontrolle und stieg schrittweise dümmlichst in die Gosse hinab:
1 .... Dd5-d4

2.Sc3-e2!
und nun
2 ... Dd4-e3??

Zum Glück entschied sich nun der Gegner nach langem Überlegen, auf h6 mit Schach zu nehmen (3.Dxh6? Th7), womit meine Kuh ihrer gerechten Strafe entging und ich die Partie wundersamerweise noch gewann.

Wer wissen will, was der Kuh erspart blieb, und dies nicht ohnhin selbst entdeckt, markiere untenstehenden Text:
*Tg3! mit Damenfang mitten am Brett! *

PS: Canettis Figur, Schachmeister Fischerle, ist sowieso eine eigene Betrachtung wert. Der bucklige Zwerg, der seine jüdische Herkunft vergessen machen möchte, lebt für's Schach, träumt davon, Weltmeister zu sein, in einem kolossalen Schachpalast mit Dienerschaft zu wohnen, Maßanzüge zu tragen, von Reportern belagert zu werden, Millionen für ein Interview zu verlangen. Er legt die Verkleinerungsform ab und nennt sich - Fischer!

Die Blendung erschien 1935, acht Jahre vor Bobby Fischers Geburt.


Nr. 132: Weißheit (25.11.2016)

In's Stammbuch geschrieben:

Sergej Karjakin über die Bedeutung seines Schwarzsieges in der 8. Partie. Es sei natürlich angenehm, mit Schwarz zu gewinnen, but:


It's much better to play well than to play white.



 

Nr. 131: Zum Sieger erklärt (19.11.2016)

Während Carlsen und Karjakin in New York ein Remis nach dem anderen fabrizieren, leuchtet ein kleiner Gruß aus der großen Vergangenheit der WM-Kämpfe herein:

Der Original-Spieltisch (mit eingelassenem Schachbrett) der Weltmeisterschaft 1972 zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski wird in Amerika versteigert. Das Brett ist von beiden Spielern handsigniert.

Heute, 19.11.2016, ist der letzte Tag der Versteigerung. Das Mindestgebot betrug 75.000 Dollar; das derzeitige Gebot liegt bei 119.500 Dollar. Den Wert gibt das Auktionshaus mit ca. 300.000 Dollar an. Wenn Sie also ein bisschen Kleingeld hätten ... ?!

Auch etliche von Bobby Fischers Original-Partieformularen aus amerikanischen Staatsmeisterschaften werden bei dieser Auktion angeboten, mit ca. 5.000 Dollar geradezu eine Mezie.

Warum es diese Nachricht ins Kuriositätentagebuch schafft?

Der Grund ist die nette APA-Meldung, die die ORF-Website und etliche Zeitungen übernommen haben: Der Tisch wurde demnach für die Spiele sieben bis 21 benutzt. (Ja, über"Spiele" lächeln wir nur mehr müde.) Aber dann kommt's:

"Nach Spiel 21 wurde Fischer zum Sieger erklärt..."

Das ist interessant und revolutioniert die Schachgeschichte. Wie darf man sich das vorstellen ?
- Durch Ringrichter wie beim Boxen?
- Per Entscheidung des Hauptschiedsrichters?
- Durch Abstimmung per Akklamation im Saal?
- Durch Machtwort des Weltschachbundes?
- Durch Geheimpakt zwischen USA und UdSSR?

Offenbar sind noch längst nicht alle Geheimnisse dieses sagenumwobenen Wettkampfs des Jahrhunderts ans Licht gekommen ...



Nr. 130: "Ich bin Schachgroßmeister!" (16.7.2016)

Der große Viktor Kortschnoi ist also nun auch im Schachhimmel. Verabschiedet wurde er mit einer Trauerfeier in seinem letzten Heimatort in der Schweiz.

Ich kann mir vorstellen, dass der energische Viktor ein winzig kleines Detail dieser Feier absolut nicht goutiert hätte:

Beim Anblick des aus Blumen gefertigten Schachbrett-Kranzes wäre ihm wohl der - durch das legendäre Video fast schon zum Kult gewordene - entrüstete Satz ausgekommen:

"Ich bin Schachgroßmeister!"

 

Youtube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=5ZGufnQDYck

Zu falschen Eckfeldern und Aufstellungen siehe auch die Tagebuchgeschichten Nr. 13, 22, 27, 31, 32, 48, 69, 76, 90, 95, 98, 109, 113, 118, 119, 126

PS: Dank an Schachfreund Andreas Miltenberger, der dieses Detail entdeckt hat!


Nr. 129: Alles hat seine Zeit (12.6.2016)

Kürzlich erhalte ich (wohl nicht nur ich) ein E-Mail von einem Tiroler Moderator und Schachliebhaber: "Habe die Schachpartie Tapia Lorente vs. Rosado Montanez, Malaga 1999, verfilmt und würde mich freuen, wenn Sie den Film verwenden - verlinken - weiterreichen."

Na das mache ich doch glatt. Unter uns, nicht vordringlich, weil mich der Film so begeistert - aber sehenswert und originell ist er allemal. Laut Autor ist die Idee "Ungleichzeitigkeit": etwas Statisches (eine Schachpartie) an 18 (Dreh-) Orten ablaufen zu lassen. Man hat derlei schon professioneller gesehen, etwa als Trailer zur Fussball-WM, allerdings - bravo dem Autor für die Idee - noch nicht mit Schach! (Ob das oftmalige falsche Drücken der Schachuhr subtile Absicht oder ein simpler Regiefehler ist, überlasse ich dem Leser.)

Hier gehts zum Video: Lightning Chess

Der Grund, warum der Film Eingang in das Tagebuch findet, ist folgender: Ich habe mich besonders gefreut, die Partie zu sehen! Denn ich habe einen persönlichen Bezug dazu. Es handelt sich um eine der Lieblingsfallen meiner Jugend, in vielen Blitzpartien gespielt. Und lange bevor die Herren Tapia und Rosado diese Kurzpartie fabrizierten, habe ich dies sogar in einer echten Turnierpartie angebracht - kurze Pause (Kramen in meinen alten Partieformularen): genau am 20.5.1980 um 9 Uhr früh in Medulin, Pula (Stichlberger - Cubrakovic).

So macht man sich gleich seine eigenen Gedanken über die Zeit und die "Ungleichzeitigkeit".

Und ich erinnere mich noch wie heute: Als der Gegner nach 15 Minuten aufgab, murmelte er in gebrochenem Deutsch kopfschüttelnd und entschuldigend so etwas wie "...noch nicht wach ... lange gefeiert gestern ..."

Im Diagramm ersetze ich den achten schwarzen Zug des Films (8...Sb8-c6) mit dem häufigeren und humoristisch weit wertvolleren Zug 8...h7-h6.

Der Wermutstropfen ist jedoch, dass man diese Falle kaum spielen kann. Zu leicht findet der Schwarze die Widerlegung, nein, nicht im 5. oder 6. Zug (wie auf youtube zu lesen), sondern sogar noch im 8. Zug!

Verraten tu ich's aber nicht, denn vielleicht fällts mir ja im Alter spontan ein, das doch noch einmal zu spielen....!

 

 


Nr. 128: Der Sekundant (27.4.2016)

Österreichs Aushängeschild Markus Ragger ist also erstmals in seiner Karriere als Sekundant tätig, erfährt man. Beim Norway Chess Turnier, das soeben von Magnus Carlsen gewonnen wird, sekundiert Ragger dem Inder Harikrishna.

"Was macht eigentlich so ein Sekundant beim Schach?", werde ich oft gefragt. Einspringen darf er ja nicht. Einsagen darf er auch nicht. Neben dem Brett sitzen darf er auch nicht. Hängepartien analysieren - ja sicher, aber das war vor der Computer-Ära. Was also?

Immer wenn ich obige Frage höre, taucht vor meinem geistigen Auge einer der liebenswertesten Menschen auf, die ich je gekannt habe: der gutmütige, großherzige, grundehrliche, immer freundliche Internationale Meister Alfred Beni. Der waschechte Wiener Beni war ein "echter IM", nämlich zu einer Zeit, als dieser Titel nicht einmal annähernd so inflationär war wie heute. Mitte der 70-er Jahre gab es in Österreich einen einzigen Großmeister (Robatsch) und zwei Internationale Meister (Dückstein, Beni), und die waren dementsprechend berühmt. Kein Wunder, existierten weltweit weniger als achtzig Großmeister, die man alle namentlich kannte, - paradiesische Zeiten ....!

Es war ein strahlender Sommertag des Jahres 1978, wo "wir Buam" genau obige Frage stellten. Alfred Beni, einige Jahre lang unser Trainer, hatte meinen Schulfreund Norbert St. und mich bei der Rückfahrt von der Bundesländerjugendmannschaftsmeisterschaft (ja, die hieß wirklich so) im Auto von Lienz nach Wien mitgenommen, und wir hatten es lustig. Irgendwo auf einer Bundesstraße im sommerlichen Kärnten fiel der Satz: "Herr Beni, was macht eigentlich ein Sekundant?"

"Das ist ganz einfach, ich war ja manchmal Sekundant", hub der damals 55-Jährige Beni zu erzählen an. "Man muss alles tun, was der Spieler will. Wenn er spazieren gehen will, muss ma mit ihm spazieren gehen. Wenn er an' Kaffee will, muss ma ihm einen bringen. Wenn er verliert, muss ma ihn aufheitern. Wenn er a Frau braucht, muss ma ihm eine besorgen." Beni hält kurz inne. "Und wenn er's dann net will, muss ma's selber nehmen."

Seitdem weiß ich, wofür ein Sekundant gut ist. Ich verrat' auch nicht, bei wem Beni Sekundant war. Und es ist auch egal, ob das Körnchen Wahrheit beim typischen selbst-ironischen Beni-Witz groß oder klein war. Kaum fällt das Wort "Sekundant", höre ich mein Leben lang Alfred Beni sagen: "Und wenn er's dann net will, muss ma's selber nehmen."

 

Das fast schon historische Lienz-Foto mit Alfred Beni , links vorne sitzend.

Dazu eine Runde, die Kenner der heimischen Schachszene erfreuen wird:
Rechts sitzend die legendäre Schiedrichterin Gertrude Wagner; stehend von links: René Schwab (heute Obmann eines der größten Wiener Schachvereine); der Autor selbst; Nobert Stöckl (heute Arzt in Abtenau); Peter Herzog (der Bruder des bekannten IM Adolf Herzog): rechts vom Plakat Heinz Herzog (heute weltberühmt als Erfinder von "Chess Results"); Raimund Böhsmüller (Wr. Jugendstadtmeister 1977); Ernst Swoboda (Jugendstaatsmeister 1978, ein sehr starker ÖM, der das Schach zugunsten seiner juristischen Karriere völlig aufgab).


Nr. 127: Glücklichster Moment (3.3.2016)

Wer 1200 Elo hat, möchte 1400.
Wer 1400 Elo hat, möchte 1600.
Wer 1700 Elo hat, möchte 1900.
Wer 1900 Elo hat, hat nur die 2000er-Hürde im Kopf.
Wer 2100 Elo hat, fragt sich, warum er keine 2300 hat.
Wer 2400 Elo hat, tut alles für 2500 und den GM-Titel.
Wer 2600 Elo hat, möchte mit 2700 in die Top 100 der Welt.
Wer 2750 Elo hat, möchte Weltmeister werden.

Wer ist je zufrieden?


Oft sage ich den Hobbyspielern: "Ihr habt das Beste am Schach! Euch macht es am meisten Spaß! Ihr seid am glücklichsten damit, bewahrt euch das!" Denn je stärker man wird, desto stressiger, gewichtiger, verzehrender wird das Schach. (Wenngleich es auch inhaltsreicher wird.)

Was mag wohl jener dazu sagen, der auf der höchsten Stufe steht. Der Weltmeister persönlich?


Magnus Carlsen über seinen glücklichsten Moment im Schach:

"Als ich die norwegische Meisterschaft für Kinder unter zehn gewonnen habe."

 

Das all jenen zum Trost und zum Nachdenken , die damit hadern, nicht "besser" zu sein.

 

PS:
Interview Magnus Carlsen in der "Zeit": http://www.zeit.de/sport/2016-02/magnus-carlsen-schachweltmeister-schach

Ein weiterer weiser Satz ist:
Frage: Schach wird gelegentlich als Zeit- und Energieverschwendung kritisiert. Wie denken Sie darüber? Carlsen: "Manchmal höre ich das, und dann stimme ich immer zu."


 

Nr. 126: Die Niederösterreichische Eröffnung (25.12.2015)

Vor kurzem wurde vom ORF-Landesstudio Niederösterreich ein Beitrag über Schach ausgestrahlt: "Schach ist gut gegen Demenz", war der Aufhänger. Man sah einige Szenen aus einem Blitzturnier in Niederösterreich, einige Schachspieler erzählten von der Faszination des Schachs, und Neurologe Dr. Brainin steuerte die wissenschaftliche Sicht bei. Von ihm war sinngemäß zu erfahren, dass jedes Expertenwissen und jede intensive geistige Beschäftigung gut gegen Demenz sei. Natürlich auch Schach, aufgrund der universellen Beschäftigung des Gehirns und der sozialen Kontakte, die damit verbunden sind. (Nehmen wir, weil Weihnachten ist, hinsichtlich "Sozialkontakte beim Schach" einmal den positivsten Fall an.)

Das war lehrreich, interessant fürs breite Publikum und selbstverständlich eine perfekte Werbung für Schach.

Unsereinem ist der "Schach gegen Demenz"-Slogan natürlich schon lang bekannt, hatte ich doch seinerzeit (Juli 2003) in der KURIER-Kolumne eine solche Geschichte mit "Schach auf Krankenschein?" übertitelt, wobei sich die böse Pointe wie von selbst aufdrängte: "Für Risiko und Nebenwirkungen lesen Sie Stefan Zweigs Schachnovelle oder fragen Bobby Fischer."

Alter Hut? Nein, denn auch für mich barg der Studio-NÖ-Beitrag eine neue Erkenntnis, eine umwerfende noch dazu! Nämlich die für undenkbar gehaltene Rehabilitation einer seit frühester Kindheit, was heißt, seit frühester Schach-Steinzeit verpönten Eröffnungsvariante! Und sie dreht sich doch!!! Ja, sie ist doch spielbar, die Zugfolge 1.f2-f3 und 2.g2-g4, - und jetzt kommt's! - selbst wenn der Gegner 1...e5 (oder 1...e6) zieht.

Das glauben Sie nicht? Im Beitrag wird eine Partie gespielt (leider sieht man nur die Hände und keine Gesichter), die das glasklar beweist!

In Hinkunft werden Generationen von Meistern auf diese neue, bislang gröblich unterschätzte Waffe zurückgreifen, schneidige Siege feiern und dabei ein kleines Dankgebet für den ORF nicht vergessen. Und kein Zweifel, dass diese Zugfolge in Windeseile als Niederösterreichische Eröffnung in die Lehrbücher eingehen wir, womit, zur diebischen Freude des NÖ-Verbandes, endlich ein Gegengewicht zur Wiener Partie gesetzt wird.

Die Sendung ist nicht mehr abrufbar, doch hier ist der Screen-Shot als Beweis:

 


Denn wie man es auch dreht und wendet, eines ist sicher: Der weiße König wird garantiert nie durch Dd8-h4 matt gesetzt. Ich kann mir nicht erklären, warum bisher alle an das Matt geglaubt haben.



Zu falschen Eckfeldern und Aufstellungen siehe auch die Tagebuchgeschichten Nr. 13, 22, 27, 31, 32, 48, 69, 76, 90, 95, 98, 109, 113, 118, 119



Nr. 125: Anleitung zum Unglücklichsein (29.11.2015)

„Das Schach hat wie die Liebe, wie die Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen“, meinte bekanntlich Tarrasch im Vorwort seines Generationen überdauernden Lehrbuches. - Wie wahr!

Nun stellte der Schachblog des Zeit-Online-Magazins drei Schachmeistern (Schachmeistern!) die Frage: Macht Schach unglücklich?
http://blog.zeit.de/schach/schach-glueck-unglueck-sucht/

Das Lesen macht nachdenklich. Erstens, weil so viele Betroffenheit auslösende Dinge vorkommen. Zweitens, weil man vieles davon schon am eigenen Leib erfahren hat. Interessant übrigens, dass der schachlich schwächste der drei Befragten (immerhin noch FIDE-Meister) bei weitem am glücklichsten ist. Hier eine auszugsweise Gegenüberstellung.

 

UNGLÜCK
GLÜCK
Schachspieler werden unglücklich, weil sie zu große Ansprüche an das Spiel stellen. Weil sie es persönlich nehmen und nicht mehr spielen. Wenn man das Spielerische betont und so gut spielt, wie es eben geht, kann Schach sehr glücklich machen.
Schach hat ein riesiges Suchtpotenzial. Vermutlich vergleichbar mit der nächsten Spritze Heroin... Das steht aber in keinem Verhältnis zu den ganzen Geißelungen, den Selbstdeprimierungen, zum finanziellen und zeitlichen Aufwand. Aber so ist das bei einer Sucht. Ich genieße es, wenn ich gewinne. Wenn mir eine Partie gelingt, bei der ich es schaffe, das, was ich über das Spiel weiß, aufs Brett zu bringen. Außerdem mag ich das Ästhetische des Schachs, ich genieße es, schöne Partien zu sehen und zu verfolgen, wie die besten Spieler spielen.
Die meisten geißeln sich selbst, fressen sich nach Niederlagen innerlich auf. Man trifft beim Schach sehr viele Frustrierte, Unzufriedene. Bei einer schönen Gewinnpartie werden massenweise Hormone ausgeschüttet, die einen teilweise über Tage in einem Hoch halten. Es gibt nicht viel Vergleichbares im Leben.
Menschen wenden sich dann verstärkt dem Schach zu, wenn sie eine Phase sozialer Desintegration spüren. Das bedeutet, dass viele Menschen Schach spielen, die Frustrationserlebnisse haben. Diese Erlebnisse versuchen sie aufzuwiegen, indem sie wenigstens im Schach erfolgreich sind. Und auf Misserfolge dort reagieren sie mit besonderer Frustration.

Ich kenne einige Schachspieler, die ein stabiles soziales Umfeld, Familie und, man höre und staune, sogar Kinder haben. Sie reden sogar mit anderen Menschen und freuen sich des Lebens. :-)

 

Die fehlende Körperlichkeit spielt eine große Rolle. Man frisst einiges in sich rein, weil das Ventil fehlt. Selbst nach der Partie ist es schwer, diesen Frust loszuwerden. Andererseits ist Schach gut gegen Demenz.

Für mich ist Schach eine unglückliche, dramatische Liebe, mit der ich niemals einen neuen Versuch anfangen würde. Auf keinen Fall!

Alles in allem bin ich froh, Schach entdeckt zu haben. Ich habe eine Menge intelligenter, vielseitiger und interessanter Menschen kennengelernt.


Und über Kinder heißt es:

Kinder, die Schachspielen, sind ein gutes Beispiel: Die sind happy und entspannt und freuen sich. Die spielen einfach. Wenn man denen sagt: Da hättest du besser spielen können, denn du verlierst deine Dame, wenn dein Gegner diesen oder jenen Zug macht, dann sagen sie: Hat er aber nicht! Diese Kinder werden später mit ziemlicher Sicherheit in die bestehende Schachcommunity integriert, in der eine andere Denkweise vorherrscht.

Seit bald 40 Jahren bringe ich nun Kinder zum Schach. Und je älter ich werde, desto mehr philosophiere und zweifle ich über die Frage, was richtig und was falsch ist, wie viel "Dosis Schach" noch gut oder schon schädlich ist. Für mich eine ganz schmale Gratwanderung, den Kindern das Glück am Schach zu zeigen und sie zugleich vom Unglück möglichst fernzuhalten.

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- Für alle, die eine noch drastischere Warnung vor dem "Zu-tief-ins Schach-Hineintauchen" - oder einfach eine Bestätigung für ihr Unglücklichsein - wollen, siehe Bestseller-Autor Thomas Glavinic in Tagebuchgeschichte 115.

- Und, alt, aber sehr gut, aus der Süddeutschen: Neun Schritte, wie Sie Großmeister werden! Na, dann gleich los!
http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/23518/Schachgrossmeister-werden

 


Nr. 124: Die Wichtigkeit der Elo-Zahl (17.11.2015)


Mein Gott, da wettert man immer, dass die Elo-Zahlen überbewertet sind, und dann das. Plötzlich sind sie eine halbe Million Euro wert....!

Immerhin glauben 31% der Deutschen, dass die Elo-Zahl die Qualität des Geschirrspülers ausmacht. Und der Kandidat meinte sich zu erinnern, dass die Elo-Zahl bereits abgeschafft wurde. (Wenn der wüsste...!). Er hörte jedenfalls aufs Publikum, nahm Antwort D und gewann. Eine halbe Million Euro. Um das als Schachspieler zu verdienen, muss die Elo-Zahl schon sehr hoch sein.


 

Nr. 123: Drei Schachs, bitte! (29.9.2015)

Welche Freude! Wieder hat sich ein Politker mit einem Schachbrätt inszeniert!

Im durchaus kultigen Video über die Lage der Nation, das ich lange für eine besonders gelungene Strache-Imitation des Kabarettisten Palfrader gehalten habä, parodiert sich also HC Strache sälbts dabei, wie er den Bundespräsidänten parodieren würde.

Wir lassen den Inhalt aus psycho-hygienischen Gründen ungehört und stürzen uns gleich auf die wenigen optischen Accessoires, die mit Sicherheit sorgsam ausgewählt wurden. Blumenbukett, Wandkreuz, Österreich-Fahne, Ledermappä samt Edel-Füller, Markenuhr, Freundschaftsbändchen, blaues Spielzeugauto, Österreich-Wimpel und - ein Schachbrätt!

Allzu platt natürlich die Message. Leicht zu erraten, dass das Schachbrätt, wie stets in diesen Fällen, Assoziationen wecken soll wie etwa "intelligent", "intellektuell", "hochbägabt", "strategisch denkend".

Tja, das Verhältnis von Strache zu Schach wurde ja bereits in der Tagäbuch-Geschichte Nr. 96 ausgiebig erörtert. In einem Interview 2006 antwortete er auf die Fragä nach seinen Hobbies: "Jeglichen Sport, ich war Vierter im Judo von Wien, Zweiter im Schach, in der Schülerliga, ..."

Ich mutmaßte damals, dass er mit dieser Formulierung beabsichtige, sich als ähemaliger "Wiener Schüler-Vizemeister" hinzustellen. Tatsächlich klingt die Geschichte im Profil 2014 nun wirklich schon so: In seiner Jugend spielte Heinz-Christian Strache gern Schach, offenbar auch mit gewisser Könnerschaft. Einmal schaffte er es bis zum Wiener Vizemeister in einer Schülerklasse.

Warum dies Humbug ist, ist in Tagäbuch-Geschichte Nr. 96 ("Jugendsünden") nachzulesen.

 

Nun zur Schachstellung im Video:

In manchen Kommentaren ist zu läsen, dass am Schachbrätt König und Damä verkehrt aufgestellt sind.

Manche bemerken zudem, dass die schwarzen Figuren seltsam zusammengedrängt scheinen und es sogar rotä Figuren gäben soll.

Das ist Pech - und wohl auch Ungeschick des Inszenierenden. (Oder gar enorme Subtilität.*) Denn die Wirklichkeit ist ganz anders als der Schein!

 

Schachimedes (hat vergrößert, gezoomt, gegoogelt) und enthüllt nun, was im Video kaum zu erkennen ist: Es handelt sich - zugegäben nicht unoriginell! - um ein Dreier-Schach! Ja, ein Schachspiel für drei Personen, mit roten, schwarzen und (ha, dreimal dürfen Sie raten - nein, leider falsch, nicht blauen!) weißen Figuren!

Das lässt Spielraum für verschiedenä Interprätationen, suchen Sie sich eine aus:

- Es war grad kein anderes Schachbrätt da;
- Strache soll als noch intelligenter als ein herkömmlicher Schachspieler dargestellt werden;
- Strache spielt nur mehr Dreier-Schach, damit seine Jugend-Flunkereien nicht auffliegen;
- Strache liebt die Zahl Drei ("drei Bier");
- Strache plant schon eine Dreier-Koalition;
- Strache will sein Ex-Vorbild J.H. übertreffen (Tagäbuch-Geschichte Nr. 27).


Ob Damä und König tatsächlich falsch stehen, lässt sich übrigens gar nicht so einfach ergründen, da es mährere Dreier-Schach-Varianten mit unterschiedlichen Grundaufstellungen gibt. Derzeitiger aktueller Stand der Schachimedes-Forschungen: Bei Straches Schach stehen Damä und König tatsächlich falsch! (Siehe auch Musterfoto rechts.)

*Nach langer Reflektion komme ich auf ein FAZIT. Der Dramaturg des Videos war ein genialer Philosoph: Das Gesamtwerk soll bewusst an die Bilder von M.C. Escher erinnern. Bei diesen erscheint am ersten Blick alles richtig - und erst bei genauem Hinsehen kommt man drauf, dass alles irgendwie falsch ist.


PS 8.10.15:
Schachfreund Harry E. vermeldet stolz, tatsächlich ein Dreierschach mit roten, grünen und blauen Figuren zu besitzen, also ein wahlkampf-farblich weit passenderes! (Foto unten.) Er habe dies in Ungarn erstanden, wo solche Dinger in Budapest zuhauf auf allen Touristenmärkten um wenige Euros angeboten werden. Er fügt daher zu den obigen Interpretationsmöglichkeiten gleich eine neue hinzu:

- Strache päsentiert das Dreierschach deshalb stolz im Video, da er es von seinem Freund Orbán geschenkt bekommen hat.


 

Nr. 122: Kofferwort (20.8.2015)

Ich muss wieder lästern. Verzeihung. Aber die Themen "Kurier" und "Wiener Schach" gehören ja bekanntlich zu meinen Lieblingen.

Also. Der Kurier-Artikel über das Vienna-Open im Wiener Rathaus, angeblich dem größten Schachturnier Westeuropas, ist so gestaltet: Von 53 Zeilen handeln heiße 9 Zeilen vom Vienna-Open, der Rest vornehmlich von Fußball und von Weltmeister Magnus Carlsen, der freilich in Wien gar nicht mitspielt. Neben dem Titelhelden Simen Adgestein (ein Schach- und Fußballprofi) kommen an Eigennamen vier Fußballer (Herzog, Stöger, Pacult, Weber) und drei Schachspieler (Carlsen, Ragger, Mamedyarow) vor.

Bravo, bravo! Das ist zwar nicht allzu schmeichelhaft für uns Schachspieler, entspricht aber meiner stets - wenn auch mit tränendem Augenzwinkern - geäußerten Philosophie über Schach in den Medien. (siehe Nr. 120, 112, 102, 97, 84 usw.). Insofern ist es geradezu ein Geniestreich, den Artikel auf den norwegischen Exfussballer Adgestein zu fokussieren, der einst Trainer von Magnus Carlsen war. Vielleicht lesen ja die Leut' wenigstens dann über Schach, wenn statt Schach Fußball vorkommt!

Am besten gefällt mir jedoch, dass gerade dem Kurier, in besseren Zeiten Vorzeige-Schach-Printmedium, endlich das passiert ist, worauf ich schon so lange warte! Nämlich ein auf der Hand liegendes, in Germanistenkreisen so genanntes "Kofferwort" (Portmanteau-Wort) zu fabrizieren. (Wobei vermutlich mit Koffer nur ganz selten der Autor gemeint ist.)

Unser Weltmeister Magnus Carlsen wurde endlich, sogar zwei Mal, zu:

"Magnussen"



Nr. 121: Garderobiere (28.7.2015)

Ich weiß, alles, nur keine Burgenländerwitze! Das geht nicht. Deshalb habe ich den Titel soeben von "Burgenländerwitz" auf den jetzigen geändert. Ich habe so viele Schachfreunde im Burgenland, ich mag überhaupt alle burgenländischen Schachspieler (und natürlich -innen), der gesamt Landesverband ist der sympathischeste von ganz Österreich, überhaupt ist das ganze Burgenland ist ein Schmuckstück ... - aber als Kuriositätensammler kann man da nicht vorübergehen!

Derzeit finden die Staatsmeisterschaften im Burgenland statt, nämlich im räumlich großzügigen Turnsaal der HTBL Pinkafeld.


In der Garderobe!
(Bild: ÖSB)
Am Start auch, als Nr. 1 im Damenbewerb (sorry, heißt nun, brav gegendert, Frauenbewerb), die sechsfache Damen-Staatsmeisterin Mag. Anna-Christina (genannt Tina) Kopinits.

Bei der Auslosung in chess results erkennt man neben ihrem Namen etwas höchst Verdächtiges. Nämlich ein Sternchen mit dem Text "Dieser Spieler ist einem fixen Brett zugeordnet." (Spieler?? - Wo ist hier die Genderbeaufragte des ÖSB?)

Fixes Brett bedeutet einen Sonderplatz, meist einen geräumigen oder gut erreichbaren, üblich für Rollstuhlfahrer oder Leute, die mit Gipsfuß spielen müssen.

"Jetzt werden dich alle Leute fragen, was du hast!", wurde Tina gleich von Kathi Newrkla gewarnt. Tatsächlich läutete Tinas Handy am ersten Tag nicht nur einmal. (Zum Glück nicht bei der Partie, na das wär' erst ein Burgenländerwitz gewesen!)

Warum eigentlich? Und wo ist das fixe Brett? Tinas Blick am Foto des österreichischen Schachbundes sagt alles. Geben wir die Frage an die Tagebuch-Leser weiter:

Warum spielt die Nr. 1 der Damen, Tina Kopinits, ihre Partien in der Garderobe?

Die Auflösung erfolgt nach der Staastmeisterschaft! Einsendungen willkommen!

PS: 3.8.
Hier der Grund:

Welche Tücken einen Schach-Veranstalter erwarten können! An den Tagen vor Beginn der Staatsmeisterschaften wurde der Holzboden der Turnhalle renoviert und dabei ein stark riechendes Klebe- oder Bindemittel verwendet, was vor allem an den ersten Tagen für durchdringenden Gestank sorgte. Es kursierten Gerüchte, es handle sich um Formaldehyd; diese wurden zumindest nicht widerlegt. Formaldehyd sorgt für Augenbrennen, Husten, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen - also geradezu ideale Bedingungen für ein Schachturnier! (Die krebserregende Komponente wirkt sich wenigstens noch nicht während der Partie aus.)

Nachdem Tina die Nebenwirkungen nachgelesen hatte, war sie couragiert genug, für sich ein Spielen in der Halle völlig auszuschließen. Um ihre Abreise zu verhindern, wurde die Lösung mit der Garderobe gefunden. Wie wir nun wissen, bringt die Tätigkeit als Garderobiere kein Glück - Tina wurde Vierte.



Nr. 120: Die Super-Granny (3.7.2015)

Neulich musste ich, wieder auf Anregung von Michael Ehn, in einer Trafik eine drei Tage alte Kronenzeitung verlangen. Etwas Außergewöhnliches stünde drinnen, mailte er mir. Voller Vorfreude auf eine neue kronige (chronische?) Mesalliance (siehe Nr. 118) schlug ich Seite 8 auf.

Tatsächlich, ein neuer Simultanweltrekord wird gemeldet. Eine Ungarin hat, laut Krone, "13.000 Partien an mehreren Schachbrettern zugleich gespielt".

Rechnet man der Einfachheit halber pro Zug zwei Sekunden (das würde sogar den rasenden Kasparow übertreffen), würde alleine die Runde für den ersten Zug an allen Brettern gute sieben Stunden dauern (ohne Händeschütteln); es wären dafür ca. 13 km zurückzulegen. Die gesamte Veranstaltung würde, bei einer Durchschnittsdauer von 30 Zügen pro Partie (und das rasende Tempo stetig beibehaltend), somit über acht Tage dauern; 390 km müsste die Simultanspielerin zurücklegen.

Dies ist um so erstaunlicher, als es um eine 87-jährige Dame handelt, die hier den Weltrekord für Frauen aufstellte - grandiose Leistung! Laut Meldung greift sie nun den Weltrekord des kubanischen Weltmeisters Jose-Raul Capablanca an, der angeblich 13.545 Partien spielte.

Nun, Capablanca war, bei aller Stattlichkeit, auch kein Marathonläufer, doch mit dieser Information fällt der Groschen: Die Zahl von 13.545 Partien gilt als Gesamtzahl aller Simultanpartien, die Capablanca in seinem Leben gespielt hat. Das erscheint viel, ist aber möglich. Rechnet man pro Veranstaltung ca. 30 Partien, hätte Capablanca an 450 Tagen seines Lebens simultan spielen müssen; das ist durchaus plausibel.

Forscht man im Web ein wenig dem Krone-Artikel nach, erfährt man, dass es sich bei der rüstigen Ungarin genauso verhält. Sie hat über 13.000 Simultanpartien gespielt - aber im gesamten Leben. (Na simma froh!) Und nicht einmal eine Woche nach der ersten Agentur-Meldung Mitte Juni folgte auch schon die nächste Welle: Am 28.6.2015 soll die muntere Seniorin bereits den Weltrekord Capablancas überboten haben - und landete damit einen weiteren medialen Treffer!

Und wenns nicht ganz stimmt, sondern nur gut geschätzt ist (wer führt schon seit Jugend exakt Buch über seine Simultanpartien), war's ein toller PR-Einfall; mit einigem Glück und dem richtigen, sprich schachkompetenten :-) Medium wird daraus ein lupenreines Weltwunder!

Ich sags ja immer, aber die Funktionäre, Pressereferenten, PR-Beautragte in Österreich hören nicht. Mit Schach als Sport ist medial nichts zu gewinnen. Schachverbände, macht euch auf die Suche nach euren schachspielenden Großmüttern!


Nr. 119: Beachtenswerte Entwicklung (4.6.2015)

Der allwissende Michael Ehn, nicht nur führender Schachhistoriker Österreichs (mindestens), sondern auch weiser Beobachter der gesamten Schachszene, egal, ob sie aus gedruckten oder geduckten Typen besteht, schickt mir den Hinweis auf das Cover von Raymond Keenes Buch "Die Entwicklung der Schacheröffnungen".

Man kann schon nach dem ersten Blick sicher sein, darin Bahnbrechendes über Eröffnungen zu erfahren, hat doch bereits der Bauer e2 (oder war es mal der Bd2?) eine noch nie zuvor gesehene Entwicklung genommen, die auch den Läufer b5 überraschen dürfte.

Das Lustige ist jedoch, dass ich das Buch jahrzehntelang kenne, aber noch nie einen Blick aufs Brett geworfen habe. (Zugegeben auch nur wenige hinein.)

Dass mir Michael Ehn über Seltsames und Lächerliches die Augen öffnet, darauf freu ich mich schon sehr.

Ich habe nämlich mit ihm eine Abmachung: Einmal, in der Pension, wenn er nicht mehr wirtschaftlich von seinem Laden abhängig ist, bringt er seine gesammelten Notizen über die Wiener Schachszene der letzten 50 Jahre in einem Buch heraus. Ich habe schon die ersten 100 Exemplare vorbestellt...!

Zu falschen Eckfeldern und Aufstellungen siehe auch die Tagebuchgeschichten Nr. 13, 22, 27, 31, 32, 48, 69, 76, 90, 95, 98, 109, 113, 118


 

Nr. 118: Mesaillance (17.5.2015)

Heute nur ein Satz: Schach und Kronenzeitung - das wird nix mehr!

Zu falschen Eckfeldern und Aufstellungen siehe auch die Tagebuchgeschichten Nr. 13, 22, 27, 31, 32, 48, 69, 76, 90, 95, 98, 109, 113

PS 2.7.15: Schachfreund Mag. Martin U. aus Wien schickt mir zum Thema falsche Eckfelder und Aufstellungen das folgende lapidare E-Mail:

Gelegentlich liest man von Fotos, auf denen die Figuren auf einem Schachbrett falsch aufgestellt sind. Es geht auch anders. Der Fotograph der Uganda Chess Federation hat die Figuren richtig aufgestellt. http://uganda.fide.com/photo-gallery


Nr. 117: Verbotene Notizen (15.4.2015)

Nun ist also erstmals ein Großmeister, gar ein Top-10-Spieler, genullt worden, weil er während der Partie gegen Artikel 11.3 der FIDE-Regeln verstieß:

11.3.a. Während des Spielverlaufs ist es den Spielern verboten, irgendwelche Notizen, Informationsquellen oder Ratschläge zu benutzen ....

Für allen, denen die Formulierung "Notizen zu benutzen" ein bissl behmisch vorkommt, hier das englische Original: 11.3.a. During play the players are forbidden to use any notes, sources of information or advice ....

Der 21-jährige auf den Philippinen geborene Amerikaner Wesley So, zurzeit Nr. 9 der Welt, wurde bei einer Partie der amerikanischen Meisterschaft im 6. Zug disqualifiziert, da er auf einen Zettel Anweisungen für sich selbst geschrieben hatte, um sich zur Konzentration zu motivieren, wie zB: "Nütze deine Zeit!" "Nicht aufstehen!" Er war der Meinung, es sei nur verboten, so etwas auf das Partieformular zu schreiben.

Das Partieformular ist sowieso "heilig"!
Art 8.1.b. Das Partieformular dient ausschließlich der Aufzeichnung der Züge, der Zeitangaben auf den Uhren, der Remisangebote und der mit einem Antrag im Zusammenhang stehenden Umstände sowie anderer bedeutsamer Daten.

Verboten ist seit kurzem auch die weit verbreitete, von der russischen Schachschule ausdrücklich empfohlene Sitte, Züge im Voraus aufzuschreiben. Soeben wurde ein Spieler im Aeroflot-Open deshalb genullt!

Mit gewohnter Noblesse kommentiert Altmeister Garri Kasparow anlässlich des Falles Wesley So die FIDE samt ihren Regeln: "But the very fact that a bunch of idiots in FIDE created such rules tells you everything about that organisation. You can be disqualified by some stupid rule, invented by a bunch of senile idiots."

Nach der Disqualifikation von So konnte ich nicht widerstehen, meine eigenen Partieformulare auf verbotene Notizen durchzusehen.

Ich pflege wenig dazuzuschreiben. Gelegentlich (erlaubterweise!) die Zeit sowie hin und wieder einen Punkt neben dem Zug, der mich erinnern soll, diesen Zug zu Hause unter die Lupe zu nehmen.

Verbales konnte ich nur zwei Mal finden; dem Anlass entsprechend sei es hiermit der Vergessenheit entrissen..

Am 26.11.1983 notierte ich, zugegeben nicht ganz der ansonsten untadeligen Erziehung entsprechend: "Orschloch kannst sagen!", am 10.11.1989 "Zum Kotzen!!!"


Freilich, solch deplorable Erinnerungen gehen auch Jahrzehnte später noch ans Gemüt.

In solchen Stunden beneide ich direkt meinen Ex-Klubkollegen Dipl. Ing. Heinz R., der sein Formular nach tragisch verlorenen Partien aufzuessen pflegt - nicht ohne es zuvor gesalzen zu haben.

 


PS 17.5.15: Schiedsrichter und Tagebuch-Freund Daniel Lieb fürchtet - nicht ganz zu Unrecht - um seinen Berufs-Ethos, weiters, dass er demnächst aufgrund dieser Tagebuch-Geschichte etliche kuriose Proteste behandeln wird müssen. Daher die Ergänzung: Selbstverständlcih wurde So aus mehreren Gründen disqualifiziert (im Web nachzulesesen). Insbesondere war er zuvor schon wegen verbotener Notizen verwarnt worden. Das Problem in solchen und ähnlichen Fällen liegt meist in der Weigerung, mehrfache Anweisungen des Schiedsrichters zu ignorieren..


Nr. 116: Einundreißigtausend Euro (25.1.2015)

Es ist wiedermal über eine Schachfrage bei "Wer wird Millionär" in RTL zu berichten, diesmal im "Zocker-Spezial". (Nimmt man bei den ersten neun Fragen einen Joker, verliert man alle anderen.) Ein Kandidat machte dem Titel alle Ehre, wobei er mit dem Buchstaben S gehöriges Pech hatte.

Der Kandidat kam zur 64.000,- Euro-Frage, besaß allerdings keinen Joker mehr. Den hatte er bei der tückischen :-) sechsten Frage benötigt:

Wobei muss man nur einen Konsonanten durch ein "s" ersetzen,
um für schlechte Laune beim Opernsänger zu sorgen:
heiter - glücklich - lustig - fröhlich

Nun, die 64.000-Euro-Frage lautete:

Der (sorry, aber wahr) nicht allzu helle Kandidat wollte offenbar die 32.000 Euro verdoppeln. Er murmelte irgendetwas wie "Für Schach sind mir hier zu viele Buchstaben, und das Feld S gibt's beim Schach auch nicht".

Statt das Geld zu nehmen, entschied er sich sodann für Klavierspieler (die Note L würd ich mal gern hören). Durch diese bemerkenswerte Entscheidung fiel er auf 1.000,- Euro zurück, verzockte also 31.000,- Euro. Wäre ihm je ein Schachbericht (oder das Wort Konsonant) untergekommen, wäre er nun, aller Voraussicht nach, um 63.000,- Euro reicher.



Nr. 115: Glavinic hat recht (10.12.2014)

Wenn Sie schon immer wissen wollten,

a) warum Schach eine der gefährlichsten Sportarten ist

und

b) warum Frauen schlechter Schach spielen,

... dann lesen Sie weiter, wir haben nämlich einen Experten zu Gast!

Aber der Reihe nach. Immer dann, wenn ich gegenüber "Schacheltern" meine Meinung kundtue, dass Profi-Schach gefährlicher ist als nahezu jeder andere Leistungssport, ernte ich fassungslose Blicke. Ich werde entweder als maßlos übertreibender Wichtigtuer belächelt, als Leistungsfeind abgestempelt oder gar als Neidhammel verachtet ("Das sagt er nur, weil er selber kein Meister geworden ist").

Wohlgemerkt, wir reden hier vom Leistungsschach, das ins "Schach total" zu kippen droht. Schach, nicht profimäßig betrieben, ist hingegen grandios für Kinder und hat unzählige positive Effekte.

Dass Profi-Schach gefährlicher ist als fast jeder andere Leistungssport, meine ich ernst. Trotz der gerissenen Kreuzbänder der Schifahrer, der lädierten Seitenbänder der Fußballer, der kaputten Rücken der Turner. Bei vielen Leistungssportarten ruiniert man sich den Körper. Beim Schach hingegen ist die Psyche in Gefahr. Ins Schach kann man hineinkippen, alles rundherum vergessen. Zuerst den Alltag, dann die Umwelt, dann das Leben. Beim herkömmlichen Leistungssport haben Körper und Geist Ruhephasen. Beim Schach die Psyche nicht. Im Hirn dreht sich immer alles um die letzte und um die nächste Partie. Gewinnen (ob Partie, ob Elo) ist der Glücksrausch, gegen den alles andere im Leben unwichtig ist.

Diese trügerische Ersatzwelt Schach ist brandgefährlich, besonders für Jugendliche. Mit 16 stürzt man hinein, zwischen 30 und 40 wacht man auf. Wenn man da nichts Reales hat, eine Ausbildung, einen sozialen Halt, bleibt nur das Verharren im Schach. Oder der Weg zum Pokern. :-) Normaler Leistungssport ist zeitlich begrenzt, da plant man irgendwann das Danach. Im Schach gibt's kein Danach, da es (theoretisch) kein körperliches Ablaufdatum gibt.

Nur sehr wenige sind mental dafür geeignet. In Österreich vielleicht eine knappe Hand voll. Mag sein, ein Markus Ragger, als aktuellstes Beispiel. Man kennt nur die paar Hundert, die es geschafft haben. (Kennen Sie überhaupt hundert?) Die Tausenden und Abertausenden, die es nicht geschaft haben, kennt man nicht. Nur Insider kennen viele tragische Beispiele. (Philosophische Zwischenfrage: Hat es Bobby Fischer "geschafft" oder war sein Leben ein Desaster? - Da man über andere Leben nicht urteilen darf, muss die Frage rhetorisch bleiben.)


Der Schachstrudel ....

Darum, Schach-Eltern, seid achtsam! Passt aufs Hineinkippen auf! Vielleicht solltet ihr überlegen, lieber Eislauf-, Turn-, ja Formel-1-Eltern zu werden. Alles ungefährlicher als Schach.

Sie verstehen, warum ich belächelt werde? Sie lächeln selbst?

Ausgelächelt. Nun wurden meine Gedanken stilistisch meisterhaft in Worte gesetzt. Und ich freue ich mich sehr über einen Seelenverwandten. Erfolgsautor Thomas Glavinic veröffentlichte in der Zeit-Online einen Essay über Schach - nur über Schach! - mit dem Titel

"Schach ist gefährlich"

Untertitel:

"In kaum einem Sport kann man so verloren gehen wie im Schach."

Darin heißt es:

Schach ist ein wunderschönes, wildes, einzigartiges, nicht ungefährliches Spiel.

Im Gegenatz zu etlichen Prominenten hier im Tagebuch, die mit ihrem "Hobby Schach" punkten wollen, weiß Glavinic sehr gut, wovon er redet. Ende der 80-er Jahre war er ein bekannter steirischer Jugendspieler, ein "Jugendprofi" mit einer Elozahl von über 2100.

Ich war stärker als die, die sonst stärker waren als ich. Es war ein Triumph. Es gab etwas, in dem ich besser war als alle, die mir nahestanden.


Er widmete sich jahrelang intensiv dem Schach, wohl die Zeit, in der er sich - laut Klappentext eines seiner Bücher - "ausschließlich von Kinderschokolade, Zigeunerrädchen und Cola" ernährte, beschäftigte sich mit Eröffnungen, Theorie, den alten Meistern...

... Und noch viele, viele andere, mit denen ich mich beschäftigte, ja die mir näher waren als die meisten Menschen in meiner Umgebung. Schach war Flucht, Schach war mein eigenes Reich.

Manche seiner damaligen Gegner sind heute Großmeister, andere vielleicht tragische Existenzen.

Es gibt Schachspieler, nicht nur in der Weltspitze, für die Schach das Leben ist. Sie leben im Schach. Sie leben Schach. Ich kann sie verstehen, aber ich bin dankbar, dass ich einen anderen Lebensinhalt gefunden habe.

Und Glavinic (" Schach gehört zu mir wie Lesen") hörte tatsächlich mit dem Spielen auf.

Ich glaube, ich weiß, warum ich nicht mehr intensiv Schach spielen wollte. Ich hatte Angst, mich in diesem Spiel zu verlieren. Es sind schon ziemlich viele Menschen in diesem Spiel verloren gegangen.

 

Und nun zu den Frauen.

Im selben Artikel beantwortet Glavinic mit leichter Hand die Frage, warum Frauen schlechter spielen als Männer. Nein, so unkorrekt habe nur ich - gegen besseres Wissen - formuliert, damit Sie weiterlesen. :-)

Glavinic formuliert völlig korrekt:

"Dass Frauen weder in der Spitze noch in der Breite die Stärke von Männern erreichen, liegt nicht daran, dass sie weniger talentiert wären, sondern daran,. dass sie in der Regel zu intelligent sind, um ihr Leben auf ein Spiel zu setzen. Denn das muss man, um ganz nach oben zu kommen. Es gibt nichts als Schach. Jeden Tag. Schach. Sieben Stunden. Acht Stunden. Mit Computer, ohne Computer, allein oder mit dem Trainer. Frauen haben in der Regel Besseres zu tun und mehr zu tun, sie interessieren sich für Unterschiedliches und verbeißen sich nicht in eine einzige Sache.


Das trifft den Kern. Genau so beantworte ich seit Jahren diese (zu) oft gestellte Frage. Nochmal, zum Genießen der Poesie: Zu intelligent, um ihr Leben auf ein Spiel zu setzen. Irgendwie ein volles Lob für die Frauen also.

Schach ist nichts weiter als ein Spiel. Ein wunderschönes Spiel, aber ein Spiel.

Glavinic hat recht.


PS:
Den gesamten Glavinic-Artikel finden Sie hier.

Die großartige Glavinic-Schilderung über den tragischen Menschen Carl Schlechter, der in der bis heute rätselhaften letzten WM-Partie 1910 gegen Emanuel Lasker den Weltmeistertitel verschenkte, lesen Sie im Roman Carl Haffners Liebe zum Unentschieden. Gut möglich, dass Glavinic mit seiner Fachkenntnis und seinem "Erfühlen" der Person Carl Schlechter der historischen Wahrheit näher kommt als sonst kaum jemand. Absolut lesenswert!

Nebstbei: Interessant, dass es neben hymnischen Kritiken erstaunlicherweise so manch laue gibt. Diese kommen meiner Meinung nach von Leuten, die die Schachspieler-Psyche nicht kennen und daher die Feinheiten des Buches nicht ganz durchdringen können.



Nr. 114: Von f2 zum Atomkern (11.11.2014)

...oder "der höchst wienerische Zusammenhang zwischen einem Läuferopfer auf f2 und der Atombombe."

Vor kurzem blieb ich vor dem Fernseher bei einer Dokumentation über die Atomphysikerin Lise Meitner hängen und starrte gebannt auf den Bildschirm, nämlich deshalb, da ich ein paar Tage zuvor ein Seminar mit dem Thema "Läuferopfer auf f7" gehalten hatte. Wo liegt die Kausalität?

Beginnen wir mit einem der spektakulärsten Läuferopfer, das die Welt je gesehen hat. (Gratisszeitungen würden nun schreiben: "..., das wie eine Bombe einschlug.") Dieses Opfer hatte ich bei meinem Seminar natürlich im Programm. Es wurde - samt weiterem einzigartigem Partieverlauf - laut meiner Datenbank bislang gut 25 Mal in Turnieren gespielt. Die prominentesten Protagonisten waren die Großmeister Banikas und Nikolaidis (Griechenland 2008) und zuletzt, noch hochrangiger, die Weltklasseleute Mamedow und Aleksandrow (Schnellschach-WM Dubai 2014).

1.e4 e5 2.Sc3 Lc5
3.Sa4 Lxf2+!?
Hier ist es, das Opfer!
4.Kxf2 Dh4+ 5.Ke3 Df4+
6.Kd3 d5 7.Kc3 Dxe4 8.Kb3 Sa6
9.a3 Dxa4+!!
Schwarz verhindert gewaltsam, dass sich der weiße König verkriecht.
10.Kxa4 Sc5+ 11.Kb4 a5+
12.Kxc5 Se7!!
Droht b6+ nesbt Ld7# oder umgekehrt.
13.Lb5+ Kd8 14.Lc6! b6+
15.Kb5 Sxc6 16.Kxc6 Lb7+!
17.Kb5!
Falls Kxb7, so Kd7!! nebst Thb8#
17...La6+! 18.Kc6
Falls Ka4?, so Lc4! nebst b5#.
18...Lb7+! 19.Kb5 La6+ 20.Kc6 Lb7+ ½-½

Diese als "unsterbliche Remispartie" bekannte Zugfolge, die mit dem schockierenden Läuferopfer auf f2 beginnt, wird also gelegentlich zum Remisschieben verwendet; gut so, soll die Galerie auch ihr Vergnügen haben!

Die "unsterbliche Remispartie"

Graben wir also die Urfassung der Partie aus. Diese wurde im Jahr 1872, und, wie sich zur Freude jeden Wieners herausstellt, in Wien gespielt, wohl in irgendeinem der Schachcafes. Und zwar zwischen den Herren Hamppe und Meitner.

Carl Hamppe, damals 58, ein aus der Schweiz eingewanderter Finanzbeamter, gilt sogar als Urheber der "Wiener Partie". Er war Mitte des 19. Jahrhunderts ein führender Schachmeister Österreichs; Wilhelm Steinitz gab ihn als stärksten Gegner und Lehrer seiner Anfangsjahre an.

Mit Schwarz spielte Dr. Philipp Meitner, aus Mähren stammend, jüdischer Herkunft, gebildet, liberal, humanistisch, von Beruf Rechtsanwalt, zum Zeitpunkt der Partie 33 Jahre alt. Ein starker Spieler, der ein Jahr danach, 1873, beim großen Wiener Turnier anlässlich der Weltausstellung mitspielte und gegen Steinitz und Anderssen remis erreichte. Seine historische Elozahl wurde von Jeff Sonas auf 2545 hochgerechnet; zu seiner besten Zeit war er demnach Nr. 11 der Welt. Er war es also, der durch sein kühnes Läuferopfer diese Königsjagd auslöste.

Drei Jahre nach dieser Partie heiratete Meitner, und als drittes seiner acht Kinder wurde anno 1878 Lise Meitner geboren. Kleines Detail: Familie Meitner lebte damals in der (heutigen) Heinestraße 27, also nur einen Häuserblock entfernt vom heutigen Cafe Heine, in dem seit langem Schachklubs beheimatet sind.

Tochter Lise Meitner studierte Physik, mit großer Zustimmung und Unterstützung ihres Vaters, was damals alles andere als alltäglich war. In Biographien lobt LiseMeitner überschwänglich die intellektuelle und künstlerische Atmosphäre im Elternhaus, das stets offen war für Politiker, Künstler - und auch für Schachmeister. Vater Philipp war es auch, der ihr abriet, Medizin (und nur nebenbei Physik) zu studieren ("das ist nur Genies möglich"), sodass sie sich auf Physik und Mathematik konzentrierte. Später wurde sie als Kernphysikerin berühmt, war Vertraute von Nobelpreisträger Otto Hahn und traf Albert Einstein und Marie Curie. Gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch, also einem Enkel unseres Lxf2-Spielers, fand sie die physikalische Erklärung der Kernspaltung. Somit wurde sie als Mutter der Atombombe bekannt, war jedoch ihr Leben lang überzeugte Pazifistin.

Rechtsanwalt Meitner spielte trotz seiner acht Kinder weiter Schach und kreuzte noch 1909 mit Reti, Tartakower und Albin die Klingen. Er starb 1910 im Alter von 71 Jahren.

Nachwort: Es deutet übrigens nichts darauf hin, dass die Originalpartie ein "Fake" oder zumindest "nur" eine gemeinsame Analyse ist. Zu dieser Zeit, und insbesondere nach der Partie, wurde diese Variante mehrfach erprobt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist die Partie tatsächlich so gespielt worden.


Nr. 113: Black on right (2.11.2014)

Verdrehte Bretter (mit einem weißen linken Eckfeld) in Bild und Film erfreuen uns ja seit jeher. Wenn dies nicht auf Amateurfotos passiert, sondern in fach- und schachkundigen, ja sogar offiziellen Kreisen, ist die Freude umso größer.

Schachfreund Hans R. aus Bad Ischl - vielen Dank! - weist als Erster darauf hin, dass wohl tausende Österreicher jahrelang ein höchst offiziell verdrehtes Brett gesehen - und es nicht bemerkt haben.

Wir klicken die Website des Oberösterreichischen Landesverbandes (mit der schönen Domain www.schach.at) an und richten den Blick auf die seit gut einem Jahr bestehende Grafik rechts oben:


In der englischsprachigen Welt wär's immerhin leichter als in der deutschsprachigen. Doch zum markigen Merkspruch "White on right!" gibt's leider kein deutsches Pendant.

Würde aber, wie ich vermute, auch nichts ändern.

 

PS 5.12.2014:
Überqueren wir die oberösterreichische Landesgrenze Richtung Süden. Mein Klubkollege PB hat mir bereits vor über zwei Jahren den Link zum Grazer Parade-Schachlokal Brot&Spiele geschickt, das weit über die Grenzen der Steiermark hinaus bekannt ist. Dort bekommt man die Eckfelder zwar hin, scheint jedoch bis heute mit seltsamen Königsmanövern seine diebische Freude zu haben:

 

Zu falschen Eckfeldern und Aufstellungen siehe auch die Tagebuchgeschichten Nr. 13, 22, 27, 31, 32, 48, 69, 76, 90, 95, 98, 109


Nr. 112: Makaberes (22.8.2014)

Weiß jemand auf Anhieb, welches Land im August die Schacholympiade in Norwegen gewonnen hat? Vielleicht Russland? Armenien? Die Ukraine?

In den Zeitungen war über das Ergebnis nichts bis überhaupt nichts zu lesen - interessiert ja, ehrlich gesagt, leider kaum jemanden. Fast alle Zeitungen hatten jedoch die Meldung:

Zwei Tote bei Schacholympiade

Bisweilen mit Überzeile (Achtung, Ironie!):

Risikosportart Schach

Die Krone hechelt atemlos:

Einfach unglaublich! Und scheinbar ein tragischer Zufall, der seinesgleichen sucht

(Nebstbei: Der Korrektor wurde anscheinend eingespart.)

Die Schweizer "20 Minuten" sind sich nicht zu blöd für den Zwischentitel "Tödliche Falle":

Der Schiedsrichter der Partie sagte zur spanischen Zeitung «El País»: «M. war lange in Führung. Sein Gegner konnte ihm aber eine Falle stellen und als er die bemerkte, sank er in sich zusammen und erlitt den Anfall.»


Ja, zwei Spieler sind gestorben, einer tatsächlich im Turniersaal, einer im Hotel, beide eines natürlichen Todes. Ganz tragisch, keine Frage, aber bei fast 1600 Teilnehmern nichts sonderlich Außergewöhnliches. Aber, zugegeben, eine gute Schlagzeile - und eine willkommene Möglichkeit, sich subtil über die "Schachsportler" lustig zu machen. (Viele Funktionäre wollten's ja nicht anders.) Man darf sich die mitschwingende Bedeutung unter zwei Varianten aussuchen:

- Na schau, und WIE Schach Sport ist ("zwinker, zwinker"), sogar gefährlicher als Formel 1!
- Ha, Schach! Jetzt sterben's sogar schon bei so was Langweiligem!

Ah ja, zum Ergebnis. Wenn man sehr viel Glück hatte, wurde nach der Meldung sogar der Olympiasieger kurz erwähnt. (Offenbar die einzige Möglichkeit, Schach "unterzubringen".) Prüfen wir bei "Google Fight", welche Begriffe öfter im Web stehen, und lassen wir gegeneinander antreten:

GOOGLE-FIGHT:

Schacholympiade Norwegen
sterben
gegen

Schacholympiade Norwegen
China

Ergebnis: Der Tod gewinnt gegen den Sensations-Olympiasieger mit 14.800 zu 9.900.

Interessant übrigens, dass die Meldung meist nicht im Sportteil stand. Schach ist dann interessant, wenn es nicht als Sport in Erscheinung tritt. Bleibt somit der (resignierende) Verweis auf die Tagebuch-Geschichten 102, 97, 84. Und bei der stets aktuellen Nr. 45 war ich schon vor 10 Jahren als Prophet tätig ...


 

Nr. 111: Einzigartige Rarität (19.4.2014)

Meister Sommerbauer, der sich nicht nur, wie ich weiß, gelegentlich an diesem Tagebuch erfreut, sondern jüngst auch an meinen schlechten Zügen, schreibt mir ein euphorisches E-Mail:

"Hallo Stichl, ich habe eine Rarität entdeckt.
Ein Politiker hat eine korrekte Position aufgestellt!"

Zum Beweis schickt er mir einen Ausschnitt aus der Wiener Bezirkszeitung. Tatsächlich! Wir sehen etwas noch nie Dagewesenes. (Zumindest bis zum Beweis des Gegenteils.)

Die drei Begriffe Politiker, Zeitungsfoto und richtig aufgestelltes Schachbrett sind üblicherweise völlig inkompatibel.

Der Sohn des Wiener Bürgermeisters hat es geschafft, er hat somit Kultstatus erreicht, ist ein heißer Kandidat fürs Buch der Rekorde und wird mit diesen Anlagen zweifellos seinen Vater politisch überflügeln.


Zwar ist die Stellung, wie Sommerbauer fachkundig erläutert, über eine eher ungewöhnliche Zugfolge erreichbar, doch führt er gleich die Partie Sweschnikow - Tseschkowski, Moskau 1976, an: 1.e4 e5 2.Sf3 d6 3.d4 Sf6 4.Lc4.

In meinen Datenbanken finden sich immerhin rund 100 Partien, in denen diese Stellung auf verschiedene Weise erreicht wird. Meist über die Philidor-Verteidigung (wie oben), aber auch über Russisch, übers Läuferspiel, über die Pirc-Verteidigung und sogar übers Mittelgambit. Erstmals belegt übrigens im Jahr 1912 (Spielmann -Barasz, Bad Pystian).

Was schrieb ich also Meister Sommerbauer zurück? Unter uns, mit ein klein wenig stolz geschwellter Brust. (Die sieht er zwar im E-Mail nicht, liest aber hier davon):

"Hallo Norbert! Das erstaunt mich gar nicht.
Denn ein Mal darfst du raten, bei wem Bernhard H. Schach spielen gelernt hat ...!"


Nr. 110: Vorbild Magnus Carlsen (12.12.2013)

Ich muss zugeben, ich bin kein glühender Carlsen-Fan. Weder Schach-Stil noch Persönlichkeit sprechen mich sonderlich an.

Aber umso mehr begrüße ich den neuen Weltmeister als Signal für das Schach, insbesondere fürs Hobby-, Kinder- und Jugendschach.

Alle Spieler und Trainer mögen die Lehren ziehen.


1. Mit Carlsen macht Schach einen großen Schritt weg von der Wichtigkeit des (mittlerweile bis ins exzessive gesteigerten) Einpaukens von Eröffnungen. So unambitioniert ist noch nie ein Weltmeister an Eröffnungen herangegangen. Offenbar sind sie gar nicht so wichtig...! Erleben wir soeben eine historische Wende?

2. Carlsen hat (frühestens) im Alter von acht Jahren mit Schach begonnen. (Weil er sich darüber ärgerte, dass ihn seine Schwester Schustermatt setzte.) Also endlich weg mit dem Märchen, dass man schon im Kindergartenalter beginnen muss, um ein halbwegs guter Schachspieler zu werden.

3. Im Teenageralter trainierte Carlsen dann exzessiv. Er saß beim Essen zu Hause an einem eigenen Tisch, nicht am gemeinsamen Familientisch. Dort hätte sein Schachbrett keinen Platz gehabt.
Gemütlich.

4. Finanziell hat Carlsen ausgesorgt. Als Weltmeister, Model, Werbestar. Tausende wollen so werden wie er. Ist heutzutage eine Profikarriere eher anstrebenswert als früher?
Zu diesem Thema kommt mir ein Satz von GM Rainer Buhmann im letzten Schach-Aktiv-Heft 11/2013 in den Sinn: " Ein Jugendlicher sollte nur dann eine Profikarriere ins Auge fassen, wenn er nach der Matura 2600 Elo hat. Ansonsten besser einen Beruf lernen oder ein Studium absolvieren."

In Zeitlupe: a) Matura b) 2600.


Nr. 109: SOKO-Schmonzes (26.9.2013)

Die Vorfreude war groß: Die nächste Folge der (augenscheinlich Low-Budget-) Fernseh-Krimireihe "Soko Donau" würde einen Mord im Schachmilieu zum Thema haben, nämlich während einer Schach-WM in Wien - ja, tatsächlich Wien, nämlich im Parkhotel Schönbrunn, im Saal, wo sonst "Dancing Stars" stattfindet. (Man schmunzelt schon.) Laut Website des Wiener Schachverbandes sei "Fernsehen fast Pflicht", unter den Darstellern befänden sich bekannte Gesichter aus der Wiener Schachszene. Hurra - Dienstag war es endlich so weit.

Somit eine aufgelegte Tagebuch-Geschichte! Und der Tagebuch-Schreiber kam auf seine Rechnung! (Möglicherweise nur der.)

Zunächst ein aberwitziges Drehbuch, eine haarsträubende Mixtur aus diversen Schachkrimis, Columbos und James Bonds der letzten Jahrzehnte. In Schachbrettern verborgene Bomben, die sich nur durch die richtige Zugfolge entschärfen lassen, eine hohle Schachfigur, in der (warum auch immer) ein Chip mit einem Bauplan für eine Bombe versteckt ist, sowie ein in der Jugend durch ein übersehenes dreizügiges Matt traumatisierter Schachmeister, der die Ankündigung seiner Morde höchst aufwändig in Schachrätsel verpackt.

Schachlich wurden sämtliche Klischees bedient, so wie sich halt der kleine Maxi (in Wien: die Frau Schmauswaberl) die Schachszene vorstellt:

  • Kriminalist: Das "Schnarch-Turnier".
  • Ein Schachweltmeister, der höchst originellerweise Boris Aljechin heißt.
  • Eine WM mit acht Teilnehmern. (Nicht zeitgemäß, aber ok, gab's schon.) Nach einem Mord treten sechs davon zurück, die restlichen zwei spielen einfach um den WM-Titel weiter. Der Veranstalter dazu: "Ich kann niemanden vom Spielen abhalten!" (Haha..!)
  • Ein hauptberuflicher Bischof, der bei einer WM mitspielt (schon lustig!!), um dramaturgisch den unfassbar spritzigen Mordhinweis "Läufer = bishop" unterzubringen.
  • Gespielt wird mit alten ostdeutschen "Gardez-Schachuhren", die bei den WMs vor ca. 50 Jahren zum Einsatz kamen.
  • Ein beim Mattzug dramatisch fallender mattgesetzter König. Natürlich.

Kein Film ohne falsche Aufstellung!

Und auch die Schachspieler werden so hingestellt, wie wir es gewohnt sind:
"Sag mal, machst du andere Sachen auch noch außer Schach, also Kicken, Schifahren, Basketball, so mit Madeln ein bissl spielen"? - "Nein. Schach." - "Toll, das wird irrsinnig lustig mit dir."

Fazit: Wieder ein großartiger medialer Schach-Höhepunkt, der unser Schachspiel so richtig populär macht.

Ganz im Sinne eines Protokoll-Vermerks einer Sitzung des Österreichischen Schachbundes im Herbst 2012: Die Produktionsfirma der bekannten ORF-Kriminalserie SOKO Donau ist an den Wiener Schachverband mit der Bitte um Unterstützung herangetreten. Wir haben damit eine tolle Chance, auch Schach einem breiten Publikum zur Haupt-Sendezeit näherzubringen.


Ironie-Modus aus:
In Wien heißt das simpel Schmonzes, Plunder, Schmarren!

Eine Frage wäre noch zu klären: Zur schachlichen Beratung wurde Wiens Parade-Schachjournalist, der großartige Schachkenner Michael Ehn herangezogen. Er ist (als einziges Gesicht aus der Wiener Schachszene) tatsächlich (handgestoppte) drei Sekunden lang im Film zu sehen, laut seiner Schilderung als Ergebnis eines ganzen Drehtages. Wie ist so viel Schwachsinn dann möglich? Michael Ehn, am Telefon hörbar stöhnend: "Ich konnte gerade noch Ärgeres verhindern! Was glaubst', was die alles vorgehabt haben...!"

 

PS: Wer Lust auf absoluten Schwachsinn hat und 45 Minuten Lebenszeit verschenken mag, kann noch bis 1.10.2013 in der TV-Thek nachsehen: http://tvthek.orf.at/programs/2672809-Soko-Donau/episodes/6765489-Soko-Donau

PPS: Wer Lust auf eine literarisch absolut perfekte Schachszenerie hat, lese das erste Werk des nunmehrigen Star-Autors Thomas Glavinic: "Carl Haffners Liebe zum Unentschieden".


Nr. 108: Denk-Zettel (23.8.2013)

Im soeben von mir ins Leben gerufenen Wettbewerb zur Kür des besten schachjournalistischen Satzes des Jahres steht der Sieger bereits vier Monate vor Ende fest.

Im Online-Kurier schreibt Harald Eggenberger übers große Wien-Open im Rathaus:

Dass Schach bloß eine Beschäftigung für Nerds und Pensionisten sei, ist ein böses Gerücht. Davon kann man sich dieser Tage im Wiener Rathaus überzeugen, wo sich 745 Spieler aus 48 Ländern zum geistigen Kräftemessen eingefunden haben.
(Und nun, lapidar, harmlos, nicht widerlegbar:)

So viel nachgedacht wurde im Rathaus vielleicht noch nie.

PS: Den Mann sollte der Kurier öfters ranlassen. Dann erübrigt sich vielleicht auch Tagebuchgeschichte Nr. 106.


Nr. 107: Springer-Foul (20.5.2013)

Jetzt ist schon wieder etwas passiert. Kürzlich zog ich einen Springer von d5 nach b7.

Es geschah beim Schnellturnier in Korneuburg. Heißes Blitzen in einem Springerendspiel, jeder noch ca. eine Minute auf der Uhr mit ungefähr dieser Stellung (Diagramm). Sein g-Freibauer wird wohl mithilfe des Königs und Springers durchlaufen; ich musste also am Damenflügel möglichst schnell etwas erwischen! Und plötzlich stand der Springer auf b7! Unbeabsichtigt! Ehrlich.

Der Gegner fuchtelte empört zwischen d5 und b7 herum, reklamierte unmöglichen Zug und Partiegewinn. Aber Schnellschach, nicht Blitzen - also nix Partiegewinn, sondern Rücknahme des Zuges!

Ich sagte ihm das ruhig, er blickte aufgeregt und hilfesuchend ins zahlreiche Publkum und rief nach dem Schiedsrichter. Netterweise alles auf seine Zeit, da er nicht die Nerven hatte, sofort die Uhr anzuhalten. (Einen 2000-er werde ich aber nicht darauf hinweisen, bin ja kein Samariter!) Irgendwann stoppte er doch die Uhr, der Schiedsrichter kam.

Schwarz: N.N.

Weiß: Stichlberger
Korneuburg 2013

"Wenn schon nicht Partiegewinn, dann Zeitgutschrift", meinte der Gegner. Das war mir von Anfang an klar gewesen, dass er jetzt zwei Minuten dazu bekäme, und mit 3 gegen 1 samt schlechterer Stellung wäre ich wohl gänzlich chancenlos. Doch der Schiedsrichter erklärte, er KÖNNE die Zeitstrafe geben, MÜSSE aber nicht, er werde die Partie beobachten. Objektiv falsch: Das ist möglich (und oft sinnvoll), wenn vor Turnierbeginn ausdrücklich angekündigt. Wenn nicht, gelten die FIDE-Regeln vollinhaltlich, und da ist die Zeitstrafe tatsächlich zwingend.

Man soll Schiedsrichtern nicht widersprechen, schon gar nicht zu eigenen Ungunsten, und so hielt ich den Mund. Der grantige Gegner verwarf mein sofortiges Remisgebot und blitzte nach Sd5-b6 aufreizend lustlos weiter, bis nach großem Geholze letztlich eine Remisstellung am Brett war (rechts). Genau da fiel seine Klappe!

Nun war's - aufgrund des Bauern - gewonnen für mich. Natürlich hätte der Gegner Sekunden vor dem Klappenfall Remis durch "Quickplay-Finish" reklamieren können, doch tat er's eben nicht.


Klappe!

Im Bewusstsein, dass ihm mit der versäumten Zeitgutschrift Unrecht geschehen sei, beschloss ich, fair zu sein, und sagte sinngemäß: "An sich wär's gewonnen - aber natürlich Remis!" Das bereute ich gleich wieder, da er irgendetwas in der Art grummelte: "Ich brauche kein Geschenk!", aber dennoch hurtig das Unentschieden am Ergebniszettel unterschrieb.

Fazit: Hüten Sie sich, Leser, mein nächster Gegner in einer Schnellpartie zu sein. Nach den Erfahrungen hier und in Geschichte Nr. 92 schenk ich nix mehr her - so liederlich ich auch scheinen mag!

Ja, der Springer ist ein Hund, wie man in Wien sagen würde. Doch, zum Trost, es kann noch viel schlimmer kommen:

Turnierpartie Australien 2009.
Die junge Sarah Anton (1718) gegen den erfahrenen Paul Broekhuyse (2118) .

Schwarz zog den König mit Ke7-f6 aus dem Schach und gab nach der fürchterlichen Springergabel Sf5-d7!! sofort auf!

Sidney Open 2010:
Alan Ansell (1968) gegen GM Daryl Johansen (2457).

Nach zuletzt f6xe5 zog Weiß mit ca. eineinhalb Minuten für neun Züge hier das interessante 32.Sf4-h2!!!

Es ging weiter mit 32...Tb4 33.Sf3 Der Springer ist nun perfekt zum Mattsetzen platziert! 33...Sh5 34.Sg5 Sf6 35.Se6 und der GM gab auf.

Angeblich hatte Johansen zum Zeitpunkt des Springerzuges noch 10 Minuten auf der Uhr!

 



Nr. 106: Qualitätszeitung (15.1.2013)

Juchuuuu! Es gibt offenbar wieder Schachaufgaben im Kurier! Erstmals seit der kotanko'schen Chefredakteurs-Panik im Jahr 2006, als die langjährige Schachkolumne gekillt wurde. Sonntags, auf einer Seite namens "Denksport", findet man neben einem Kreuzworträtsel, einem Suchbild, einem Sudoku, einer Knoblauchölkapselwerbung also nun auch ein Schachdiagramm. Zwar ohne Text, tja. Immerhin, tja. Na immerhin Schach.

Nachdem - unbestätigten Gerüchten zufolge - Anfang Jänner eine unglaublich triviale Stellung abgedruckt gewesen sein soll (siehe PS), war ich also aufs Höchste gespannt, als ich mir letzten Sonntag erstmals ein eigenes Urteil bilden konnte. Voilá:

Diagramm-Text:

"Weiß gewinnt in 13 Zügen,
Lutz Neweklowsky"

Eine Studie also. Ein Gewinn in 13 Zügen reizt den Schachspieler nicht einmal zum Hinschauen, man weiß, völlig unlösbar. Stufe 11 auf der zehnteiligen Reizlos-Skala.

Für Schachkenner wertlos, für Hobbyspieler gänzlich wertlos. Höchstens Studienkomponisten würden auf die Idee kommen, die Lösung zu versuchen; davon gibt es schätzungsweise fünf Stück in Österreich. Bei einer Einwohnerzahl von 8 Milllionen und einer KURIER-Auflage von 200.000 versuchen sich also exakt 0,125 Personen (= 1/8-Person) an der Lösung dieses Schachproblems.

Auch der Name des angeblichen Komponisten kommt einem irgendwie bekannt vor. Ja richtig, er gilt in Fachkreisen als unverschämter Plagiator, der fremde Probleme als eigene ausgibt.

Also interessehalber die Stellung eingetippt, meine Datenbanken durchforstet - tatsächlich, die Stellung gibt es. Echter Komponist: Genrich (Henri) Kasparjan, 1936. Einer der berühmtesten und besten russischen Studienautoren, stets höchster Schwierigkeitsgrad.

Fazit der Schachaufgabe:
Lesereiz: null.
Adressatenkreis: niemand.
Autor: ein Plagiator.

Bleibt zu hoffen, dass das nicht für alle anderen Kurier-Inhalte auch gilt ...! :-))

Immerhin weiß nun die 1/8-Person: "Das hab ich vom Kurier!"

PS 18.1.:
Mir liegen jetzt auch die beiden zuvor erschienen Aufgaben Ende Dezember/Anfang Jänner vor:
- Die erste ist tatsächlich eine dermaßen mittelmäßige Allerweltsstellung, dass es eine Schande ist. Am letzten Brett der Oberliga Baden (Hessen) übersah ein Herr Klumpp (2092) einen Bauernvorstoß eines Herrn Grothe (2165). Laut meinem Computer erreicht Schwarz dadurch einen Vorteil von 1,62, woraus zu ersehen ist, wie dramatisch diese Kombi gewesen ist. :-) Für Herrn Grothe und den Kurier offenbar ein klarer Gewinn, nur wir Nudler würden noch ewig weiterkämpfen.
- Am darauffolgenden Sonntag war es zwar keine triviale, dafür eine viel zu schwere Stellung! Miserabel ausgewählt, da wieder kein klarer Gewinn ersichtlich war: ein unübersichtlliches, langzügiges Qualitätsopfer von Magnus Carlsen. Löseanreiz durchaus da, aber riesiger Verärgerungsfaktor bei der kaum verständlichen großmeisterlichen Zugfolge.
- Ich freu mich schon auf übermorgen. Vielleicht sogar wieder der PLAGIATOR.....?!

PS: 20.1.:
Na jetzt schlägts aber 13! Heute ein Matt in 2 Zügen, zwar schwer, aber zugegeben originell. Und, man glaubt es kaum, als Komponist angeführt ist wieder Lutz Neweklowsky, der Plagiator!!! Diesmal war es schwieriger, den richtigen Autor zu finden, aber ich hab ihn: Bengt Rudolf Giöbel, Polistidningen 1945.

Insoferne bekommt die Rätsel-Seite ja eine ganz neue Facette: Als Spezialrätsel für einen Mini-Mini-Spezialistenkreis, vielleicht sogar extra nur für - ja, für mich, für mich alleine gemacht! Danke, liebster Kurier!!! Aufgabe: Finde den richtigen Autor der Schachstellung! Ich fiebere nächster Woche entgegen!
Irgendwann würd ich allerdings liebend gern wissen, welchem Quacksalber die Qualitätszeitung da aufgesessen ist.

PS 12.3.:
Die Schachaufgabe hat sich nun eingependelt. Nämlich auf ein völlig liebloses 0815-Beispiel mit gänzlich humorfreiem (bundes-) deutschem Kurztext á la "Der Nachziehende kam wegen der schlecht stehenden Figuren des Anziehenden in fünf Zügen zu Materialvorteil. Wie?"
Alles, was am Schach faszinierend, großartig, originell, außergewöhnlich, witzig, lesens- und lösenswert ist, enthalten die Kurier-Aufgaben NICHT. Schach zum Abtörnen.
Ein Billigst-Zukauf aus Deutschland. Was die Macher vom Schach verstehen, haben sie uns mit den ersten Aufgaben (siehe oben) bewiesen. Was dem Kurier seine Leser wert sind, beweist er mit diesen Aufgaben Woche für Woche.


Nr. 105: Weihnachtsgrüße (25.12.2012)

So manche Weihnachtswünsche trudeln ein: Per Brief (leider nur noch selten), per Weihnachtskarte (noch immer beliebt), per Telefon (am kommunikativsten, aber zeitraubendsten) oder - seit einigen Jahren vermehrt - per E-Mail. Ich pflege mich durchaus über E-Mails zu freuen, zumal diese meist sehr kreativ gestaltet sind: sei es textlich oder optisch. Da gibts liebevolle Gedichte, handgemachte Winterfotos, kreative Fotoshop-Kunstwerke (Kinder als Weihnachtsengel etc.), schillernde animierte Grafiken oder - gar nicht zu verachten - ein paar nette persönliche Zeilen.

Aus gegebenem Anlass starte ich heuer den großen Wettbewerb "Romantischestes Weihnachts-E-Mail des Jahres." Kommen wir ohne Umschweife zum überlegenen Sieger, der mich am 25.12. um 8.20 Uhr erreichte:

Wohltuend bescheiden, nämlich gänzlich schmucklos, ohne Farbe, Foto , Firlefanz, erscheint eine reine Textdatei in durchgehend gleicher Schrift am Bildschirm.

Schon die liebevolle persönliche Anrede wärmt das Herz:

An: undisclosed recipients

Yes, Weihnachtspost:

Betreff: FROHES FEST

Der erste Absatz mit seinen festlichen, friedlichen und positiven Worten lässt echte Weihnachtsstimmung aufkommen und gibt sogar die Lösung für Probleme mit, die man vor wenigen Sekunden noch gar nicht gehabt hat:

Die folgende Nachricht wurde dir von einem Administrator von „Austrian Chess Federation“ gesendet. Wenn diese Nachricht Werbung, Beleidigungen oder anderen anstößigen Inhalt enthält, kannst du die Board-Administration unter folgender Adresse erreichen: eloliste@aon.at

Eine nette Geste, ja geradezu ein kleines Weihnachtsgeschenk, mir die Adresse mittzuteilen. So erspare ich mir, einen Blick hinauf zum Absender zu werfen. Wenn mich das einfache Drücken auf "Antworten" nicht freut, kann ich ja nun den Umweg nehmen, diese Adresse in mein Antwortmail hineinkopieren. Damit ich aber nicht zu sehr in Freude schwelge, gleich eine energische Aufforderung zu handeln:

Füge deiner Nachricht bitte die vollständige E-Mail (insbesondere die Nachrichtenkopfzeilen) bei.

Hier musste ich nun doch geraume Zeit überlegen: Wie füge ich einer Nachricht die Nachrichtenkopfzeilen bei, noch dazu insbesondere? Was sind überhaupt Nachrichtenkopfzeilen? Muss ich da was machen oder geht das bei "Antworten" automatisch? Wieso "meiner Nachricht"? Welche will ich eigentlich schreiben? Muss ich das nun jedenfalls machen oder nur, wenn ich die Board-Administration (was ist das wieder??) erreichen will. Und wieso weiß die Board-Administration eigentlich nicht, ob die gesendete Nachricht Werbung, Beleidigungen oder anderen anstößigen Inhalt enthält? Stammt die Nachricht gar nicht von ihr? Das kann nicht sein, da sie mir ja sonst nicht die Adresse geben würde...! Muss ich das ganze noch vor Weihnachten schaffen? (Äh, nein, die Wünsche kamen ja erst nachher ...) Schweißgebadet lese ich weiter und darf sofort freudig aufjubeln:

Es folgt die an dich gesendete Nachricht

(Gut, dass das so deutlich gesagt wird, man ist ja schließlich kein Einstein.)

Liebe Schachfreundinnen und Schachfreunde!

Der Österreichische Schachbund wünscht allen Spielerinnen und Spielern, Trainerinnen und Trainern, Organisatorinnen und Organisatoren, Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern, Funktionärinnen und Funktionären sowie allen darüber hinaus am Schach Interessierten ein...

FROHES WEIHNACHTSFEST 2012

In feierlicher Stimmung nimmt man die meisterhaft gegenderten, an die dritte Person Plural gerichteten, also höchstpersönlichen Glückwünsche entgegen, überlegt kurz, zu welcher Kategorie man wohl gehört - und bevor man sich den Kopf zerbricht, ob man sich nun bedanken muss, liest man weiter und weiß, man muss es nicht:

Danke, die Board-Administration

Der Absender tut es nämlich - wohlweislich (!) - selbst.

Merry Christmas allerseits!

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PS: 31.12.2012
- Ohne Worte!

31.12.12 ---- 19.38
An: undisclosed recipients
Sent: Monday, December 31, 2012 19:11
PROSIT 2013

Die folgende Nachricht wurde dir von einem Administrator von „Austrian
Chess Federation“ gesendet. Wenn diese Nachricht Werbung, Beleidigungen oder anderen anstößigen Inhalt enthält, kannst du die Board-Administration unter folgender Adresse erreichen:
eloliste@aon.at

Füge deiner Nachricht bitte die vollständige E-Mail (insbesondere die
Nachrichtenkopfzeilen) bei.

Es folgt die an dich gesendete Nachricht
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Der Vorstand des Österreichischen Schachbundes dankt allen Landesverbänden, Vereinen, Funktionär/innen, Trainer/innen, Schiedsrichter/innen und nicht zuletzt allen Spieler/innen für ihren Einsatz im vergangenen Jahr und wünscht einen Guten Rutsch in das Neue Jahr sowie viel Glück, Gesundheit und Erfolg. In diesem Sinne...

PROSIT 2013 !!
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Danke, die Board-Administration

 


Nr. 104: Jagdtrieb (8.6.2012)

"Der Mensch als Jäger schaut instinktmäßig unwillkürlich dorthin, wo sich etwas bewegt und dann in die Richtung, wohin sich etwas bewegt", sagte mir einmal ein hobbyschachspielender Psychologe. Daraus erklärt sich so mancher Fehler am Schachbrett ganz selbstverständlich.

Die folgende - durchaus bemerkenswerte - Episode, die sich gestern beim Eröffnungsblitzturnier des Tal-Memorials ereignet hat, ist nur einem winzigen Bruchteil der Schachfans zugänglich, nämlich vorwiegend den Schachimedes-Lesern. :-)
In der offiziellen Partiendatei ist nämlich die Zugfolge unrichtig wiedergegeben. Nur am Video-Stream ist die Wahrheit deutlich zu erkennen. (So lange er noch online ist; ab Minute 18:52:12, exakt 18:52:42: http://video.russiachess.org/view/1219 )

Schwarz: Nakamura (zieht Sb4-d5)

Weiß: Morosewitsch

Zwei der allerallerbesten Blitzer der Welt sind am Werk, kreativ, reaktionsschnell, gefinkelt wir sonst kaum jemand. Zugegeben in höllischem Blitztempo.
Alexander Morosewitsch (Weiß) hatte soeben Tb1-b3 gezogen. Der gefährliche Bf3 soll beseitigt werden, dafür ist auch ein Qualitätsopfer nicht zu schade. Danach ist die Stellung geklärt, und Weiß hat dann drei gefährliche Bauern für eine Leichtfigur und kann gefahrlos auf Gewinn spielen.
Auch Hikaru Nakamura (Schwarz) will näher zum Kampfschauplatz, zieht 1...Sb4-d5 und liebäugelt mit Mattideen gegen den weißen h-Linien-König nach Sd5-f6+. Moro zieht plangemäß, ohne eine Sekunde zu zögern (und rechtzeitig gegen Sf6+) 2.Tb3xf3, es folgt Lxf3 3.Txf3 und die Partie endet letztlich doch Remis.

Na dann legen Sie die Stellung nach 1...Sb4-d5?? mal dem blutigsten Anfänger vor, den Sie kennen. Nur einzügig mattsetzen muss er können. (!) Ob der auch Tb3xf3?? zieht...?!?!

Psychologisch sind beide dem Jagdtrieb erlegen. Es hat sich eben optisch alles Richtung Königsflügel bewegt....!



Nr. 103: Der Dekolleté-Paragraph (21.4.2012)

Zwei Monate später schon wieder Schach in den Medien, unglaublich. Ein (ziemlich verunglückter) Artikel im Standard, der von den Bekleidungsvorschriften seitens der Europäischen Schachunion (ECU) handelt und dieses Thema auf "Schach und Frauen" reduziert. Man weiß zwar nicht genau, was die Autorin aussagen will, aber sei's drum. Allein der Titel "Bekleidungsvorschriften für Chess Bitches" und ein Untertitel "Chest Championships" ist reißerisch wie selten etwas, das mit Schach zu tun hat.

Zusammengefasst: Es wird bemängelt, dass für Schachspielerinnen ein eigener Dress-Code geschaffen wurde: Nur die zwei obersten Knöpfe der Bluse dürfen offen bleiben, womit die beiden besten weiblichen Eröffnungszüge vereitelt würden. (Oder so ähnlich ...)

Unter uns: Die ganze Aufregung resultiert meines Erachtens nach aus dem juristischen Dilletantismus der ECU, die es nicht geschafft hat, den Text des Dress Codes deutlich zu strukturieren. Somit ist nicht ganz klar, ob der Großteil nur für Frauen oder auch für Männer gilt. Hier der Text.
Selbstverständlich hat es die Vorschrift aber überwiegend auf Männer abgesehen: Uns soll eher der allzu tiefe Einblick in hawaihemdige, begoldkettelte, ballonartige, affenbehaarte und schweißglänzende Männerbäuche erspart bleiben! Auch die Bestimmung, dass das Gewand frei von Löchern und Körpergeruch sein muss, ist mit Sicherheit überwiegend auf die männlichen Schachspieler ausgerichtet.

Ich erspare mir weitere Ausführungen und zitiere nur diverse Kommentare von Online-Foren.
(Vorsicht: Manchmal politisch nicht ganz korrekt!) :-)

Einfach eine Bluse mit nur zwei Knöpfen anziehen ...

Anziehen und Aussehen wie die "Chess-Gitti" wird sicher durchgehen!

Ich hab mal gegen Judit Polgar gespielt - den Ausschnitt hab ich nicht gesehen, war Internet.

Ich hab die Lösung: Die Spieler spielen beide nackt und müssen zuerst duschen. Dafür ist der Raum beheizt.

Schade, sonst wäre wenigstens eine Sache bei diesem Spiel sehenswert...

Eigentlich wollte ich Bilder von männlichen Schachspielern sehen, zb wie sie die Figuren mit auf dem Rücken verschränkten Händen übers Brett schieben ...

Würde mich mal interessieren wie sehr eine Schachspielerin abgelenkt wäre, wenn ihr Gegner mit kurzen Shorts dasitzt und unten die Nudel heraushängen lässt.

Zum Beispiel ist es wahnsinnig ekelhaft, wenn einen der Gegenspieler minutenlang provokant anstarrt. Ich kann mir gut vorstellen, dass es noch schlimmer ist, wenn es weibliche Brüste sind, die einen unentwegt anstarren. - Sie können ja einfach rübergreifen und sie wegdrehen, dann habens wieder ihre Ruhe.



Nr. 102: Zwischen Papageienball, Eierspeisshow und Gatschenten (12.2.2012)

Endlich!! Geschafft!! Seit Jahrzehnten von Funktionären erträumt: Schach-Bundesliga im Fernsehen - letzten Donnerstag zur besten Sendezeit in ORF 1, juchuuu!

Äh, lang wars nicht (drei Minuten), in einer Sportsendung auch nicht, in einer Kulturleiste auch nicht, oder, na ja, irgendwie schon. Partien hat man auch keine gesehen.

Im Rahmen der Satiresendung "Willkommen Österreich" mit dem (meist halblustigen) Duo Stermann&Grissemann steuert ein höflicher, weiß gekleideter Außenreporter namens "Herr Hermes" stets einen (meist sehr lustigen) Kurzbeitrag namens "Die unteren 10.000" bei. Das sind, freundlich ausgedrückt, Milieustudien, in denen, freundlich ausgedrückt, einfache Leute so gezeigt werden, wie sie eben sind.

Und wie sind also Schachspieler, zumindest aus der Sicht der Öffentlichkeit? Der Vergleich mit den bisherigen Beiträgen zeigt's! Schachbundesliga in der Donaustadt steht nun in einer Reihe mit so illustren Vorgängern wie Erdäpfelkirtag in Stattendorf, Kuhfladenbingo in Großweikersdorf, Tauschbazar für Erstkommunionskleidung, Tatoo-Messe in Simmering, Superheldengschnaß in Hollabrunn, Hirschruf-Meisterschaft in Salzburg, Bierdeckel-Tauschtag in Wieselburg, Wahl zum Mr. Jackass in Altlichtenwarth, Eierspeisshow in Raabs an der Thaya, Papageienball in Wr. Neustadt, Müllmännerfest in Rudolfsheim, Gatschenten-Crosslauf in Großmeiselsdorf. ( Mehr Beispiele hier: http://www.youtube.com/user/HannahsPlan)

Ironisch wurde konstatiert, dass Schach ein brutaler Kampfsport sein soll: "Sonst bin ich a friedfertiger Mensch, aber am Schachbrett bin ich immer sehr aggressiv", sagte ein netter älterer Herr. Der Kontrast sollte wohl lustig sein. Doch wahrscheinlich ahnten weder Reporter, noch kaum ein Zuseher, dass dies der einzige lebende Österreicher war, der je einen regierenden Weltmeister besiegt hat, nämlich IM Andreas Dückstein.

Wir erfahren, dass für den sympathischen ÖM Seuss eine verlorene Schachpartie so etwas wie ein kleines Sterben ist.
Auch der nette, ehrliche Satz des Kärntner IM Franz Hölzl wird offenbar als lustig empfunden: "Frauen machen vielleicht lieber was Sinnvolles, als ewig am Schachbrett herumzuknotzen."
Und zum Thema Frauen wurde auch noch GM Shengelia sprachlich aufs Glatteis geführt. Ha. Ha.

Immerhin lernte auch der Insider etwas Neues, nämlich von Schiedsrichter Stubenvoll. Nämlich, dass man am Schachbrett bereit sein müsse, seinen Gegner zu töten. (Gut, dass er nur Schiedrichter ist.) Weiters gab Stubenvoll auch Auskunft zum Thema Doping, nämlich, dass Kokain im Lauf der Partie auch negative Auswirkungen habe. Der Mann spricht entweder aus Erfahrung - oder wollte nicht zugeben, dass auch ein Schiedsrichter nicht auf jede Frage eine Antwort hat.

Insgesamt ein genialer Publicity-Streich der Verantwortlichen, unsere IM und GM als Dodeln hinstellen zu lassen. Man hat sich eben meinen Rat aus Tagebuchgeschichte Nr. 84 zu Herzen genommen.

Eines muss man allerdings ein wenig wehmütig konstatieren: Es war ohne Zweifel der fadeste aller bisherigen Beiträge des Herrn Hermes. Der matteste, um es mit seiner sagenhaft originellen Schlusspointe zu sagen. Das lässt ein trauriges Fazit zu: Unsere Bundesliga taugt offenbar (medial gesehen) nicht einmal zum - Verzeihung - "Verorschen"!

Hier der ganze Beitrag auf Youtube .


Nr. 101: Erlebnisse (3.11.2011)

Ja, lange keine Tagebucheintragung. Dafür wieder Schach gespielt und innerhalb zwei Wochen weit mehr erlebt als erwartet. Und genau das ist es doch, was man vom Schach will.

- Eine Fritz-Bewertung von minus 8 überlebt.
- Mit 6 Zügen die kürzeste Gewinnpartie des Lebens gespielt.
- Nach 16 Zügen Theorie und 4 miserablen eigenen Zügen aufgegeben.
- Den Gegner in vermeintlichen Zugzwang gebracht, seine Aufgabe erwartet, doch geschockt durch seine Ressource das Endspiel in leichter Panik Remis gegeben - in glatter Gewinnstellung.
- Mit bewusstem Getöse auf f7 hineingeschlagen, sodass der Gegner geschockt aufgab - viel zu früh! :-)
- Drei Stunden Vorbereitung in eine Caro-Kann-Variante gesteckt, und sich dann über 1...Sf6 geärgert.
- Mit wenigen Sekunden auf der Uhr über ein gefundenes Dauerschach aufgeatmet, und während des Ausführens zufällig noch ein Matt entdeckt.

Für den Leser, der zwar amüsiert liest, aber nichts nachvollziehen kann, bleibt nur ein Rat: Selbst spielen!

Ein bisschen Rätseln darf der Leser aber schon:

Quizfrage:
Warum ärgert man sich im Nachhinein über seine Leistung, wenn man in 6 Zügen gewinnt?

1. Sc3 f5
2. e4 fxe4
3. Sxe4 e6
4. d4 d5

5. Dh5+ g6
(Kd7 ist besser, aber natürlich auch kein Vergnügen)
6.De5 1-0

Auflösung unten.


Stichlberger - N.N. , Wien 2011

PS 12.6.12: Hier die Auflösung (markieren):
Weil man denselben Gewinn im 4. Zug übersehen hat ...!


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